Das Zehnkampf-Wunder

■ Thorsten Dauth, Fußballtorwart aus Hessen PORTRAIT

Auf den ersten Blick wirkt er wirklich beileibe nicht wie ein Wunder an Motorik: Tapsig, nahezu unbeholfen schleppt Thorsten Dauth seinen 2,01 Meter langen Körper über die Tartanbahn, nähert sich der Hochsprungmatte, läßt sich draufplatschen. Zufrieden fummelt er am Schnurrbart, wackelt ein bißchen mit den Fußballerwaden und wartet auf den nächsten Teamkollegen, um „ein bißchen Spaß zu machen“.

Ein „S“ hat sich der Sportstudent im Nacken in die Meckifrisur eingravieren lassen, und zunächst meint man, es stehe für „Spaßvogel“. Aber nach dem 60-Meter- Sprint befällt den Betrachter der Verdacht: „S“ soll heißen „Siegertyp“. Thorsten Dauth ist das neue Zehnkampf-Wunderkind. Im reifen Alter von 20 Jahren erst hat der heute 22jährige im TG Groß-Karben mit der Leichtathletik begonnen. Und nur so zum Spaß hat ihn sein Trainer Werner Haas bei den Hessischen Meisterschaften angemeldet. Thorsten Dauths erster Zehnkampf. Er gewann.

Kurz darauf, bei den deutschen Juniorenmeisterschaften 1989, startete er zum zweiten Mal und wurde prompt Vierter. Da konnte man den Zehnkampf-Bundestrainer Claus Marek hummelartig durchs Stadion sausen sehen: „Wer ist der Kerl? Woher kommt der?“ Die Antwort ließ ihn an seiner Zehnkampf-Erfahrung zweifeln.

Thorsten Dauth, so erfuhr er, ist Fußballtorwart beim weithin unbekannten Landesligisten KSV Klein Karben. Und das wolle er eigentlich auch bleiben. Mit Engelszungen überredete Marek seine Neuentdeckung, doch vom Fußball abzulassen, und vermittelte ihn an den Zehnkampf-Maniac Karl Zilch, den Ex-Trainer von Guido Kratschmer. „So ein Talent gab's noch nie“, sind sich Bundes- und Heimtrainer einig. Und selbst Weltmeister Torsten Voss urteilte: „Dem gehört die Zukunft.“ Denn ohne große Mühe und bar jeglicher Technik kam Dauth 1990 locker über die magische 8.000-Punkte- Schwelle, die Weltklasseathleten ausmacht.

Und er steigert sich kontinuierlich. Gerade hat er beim Hallen-Siebenkampf in Berlin sieben neue persönliche Bestleistungen aufgestellt. Und das alles mit einer sagenhaft schlechten Technik. „Sprint und Hürden sind seine Stärken“, so Zilch. Aber beim Weitsprung segelt er ohne Absprung tieffliegerartig über die Grube, die Kugel rammt er aus Zwei Metern Höhe schnörkellos in den Sand, der Hochsprunglatte nähert er sich statt mit großen rhythmischen Sprüngen mit Trippelschrittchen. „Nimm den Schwungarm hoch“, rät Zilch. Dauth nimmt den Schwungarm hoch und springt noch ein paar Zentimeter höher. Und grinst. „Das geht ja alles noch, die echte Lachnummer ist der Stabhochsprung“, feixt der Hesse und läuft zu seinem lärmenden Fantroß vom TG Groß- Karben.

Zu jedem Wettkampf reisen Fans mit, denn in seinem Dorf gilt Dauth als Sportheld. „Ob Fußball oder Volleyball, in jeder Mannschaft stand der Dauth. Dann konnte man als Gegner gleich aufgeben. Der würde in jeder Sportart Weltmeister“, schwören seine Anhänger. Warum dann nicht das lukrative Tennis? Oh, ich hab eine Zeitlang gespielt, ganz gut auch, aber es ist doch blöd, so hinter einer Filzkugel herzurennen. Nee, Zehnkampf ist das Größte.“

Neben Fußball, versteht sich. Im September riß er sich dabei Bänder und Muskel an der linken Schulter. Er wurde operiert und zusammengeschraubt. Aufhören mit dem Kicken? „Seh ich gar nicht ein, ist doch ein toller Ausgleich.“ Und Trainer Zilch kommen fast die Tränen. miß