Der Unterhaltungswert sinkt

■ CNN läuft und keiner schaut mehr hin/ In den USA wird der Krieg zur Routine

Flint, Michigan (taz) — Was ist nur los am Golf? Von der Heimatfront aus betrachtet, ist der Krieg derzeit so langweilig geworden wie ein einseitiges Football-Spiel gegen Ende der ersten Halbzeit. Die Zuschauer warten nur noch gespannt darauf, ob die „Iraqi All Stars“ nach dem Wechsel zum Bodenkrieg mit einem neuen Spielplan aus der Kabine kommen werden.

Im Fernsehalltag meldet sich unterdessen wieder die Routine mit ihren traditionellen Formen der Gewaltdarstellung zurück. Die Moderatoren der morgendlichen 'Today Show‘ haben mittlerweile auch noch den letzten Rest ihrer vorgetäuschten Ernsthaftigkeit aufgegeben und schnattern wieder wie zu Friedenszeiten dummdreist drauflos. Immer häufiger schleichen sich auch Berichte von den heimischen Nebenkriegsschauplätzen zurück in die Programme: vom Krieg gegen die Drogen und gegen das Verbrechen. Selbst die im grellen Studiolicht schier unverwüstlichen Militärexperten wirken ermüdet und repetitiv wie tibetanische Gebetsmönche.

Im Kongreß werden aus den „Wir-sind-doch-alle-nur- Amerikaner“-Abgeordneten wieder Demokraten und Republikaner, die plötzlich fassungslos in das sich täglich vergrößernde Haushaltsloch starren. In den Printmedien darf wieder über anderes als Militärstrategie nachgedacht werden. Die „Gulf War Updates“ des TV- Schlagzeilen-Kanals (Motto frei nach Jules Verne: „In 30 Minuten um die Welt“) werden immer kürzer. Nur noch CNN scheint das Schlachtroß am Golf zu Tode reiten zu wollen. Gestern saß ich unter den CNN- Bildschirmen an der Theke der Motelbar — und keiner meiner Nachbarn schaute mehr hin.

Auch an der Heimatfront hat sich ein ungleiches Kräfteverhältnis zwischen den Lagern etabliert. In den ersten Kriegswochen von den Medien mißachtet, bleibt der Friedensbewegung nun nichts anderes übrig, als auf die toten GIs des Bodenkriegs zu warten, ohne die sie politisch bedeutungslos bleiben wird. Mittlerweile bringen die Kriegsbefürworter bei ihren samstäglichen Demonstrationen sogar mehr Leute auf die Straße als ihre protesterprobten Gegner.

Den blauweißroten Unterstützergruppen gehen in Flint und anderen Kleinstädten der USA langsam die Bäume und Briefkästen aus, an denen sie ihre gelben Gedenkschleifen für die Truppen noch anheften können. Ihre Treffen sind längst zur Routine geworden, wie die wöchentliche Sitzung auf der Psychiatercouch.

Nur indirekt hält die kriegerische Expedition einer halben Million amerikanischer Kreuzritter für die neue Weltordnung dann doch wieder Einzug in Flint, dem bereits arg heruntergekommenen Drehort von „Roger and Me“ — noch nicht mit Menschenopfern, wohl aber mit materiellen Opfergaben. Diese werden in Amerika, wie sollte es auch anders sein, als erstes in Form von Automobilen dargebracht: der auf Hochglanz polierten Buicks, Fords und Chryslers, die der Käufer aus Mangel an wirtschaftlichem Vertrauen erst einmal in den „Showrooms“, auf dem Altar der Autohändler, stehenläßt. Wer zur Halbzeit des Golfkrieges einen wirklich betroffenen und verzweifelten Menschenschlag kennenlernen will, der sollte mal einen Nachmittag mit einem Autohändler und seinen tatenlos herumstehenden Verkäufern verbringen. Rolf Paasch