Stuttgart: Ambulante Abtreibungspraxis

Berlin (taz) — Zur Eröffnung der ersten ambulanten Abtreibungspraxis in Stuttgart am 19.Februar hat sich der Arzt Friedrich Stapf ein historisches Datum ausgesucht. Auf den Tag genau vor 60 Jahren wurden die Stuttgarter Ärztin Else Kienle und der Schriftsteller Friedrich Wolf wegen Verstöße gegen den Paragraphen 218 festgenommen. Die Verhaftung der beiden Sexualreformer hatte seinerzeit eine der größten Kampagnen der Weimarer Republik gegen das Verbot von Abtreibungen ausgelöst.

Über drei Jahre mußte der hessische Arzt für die Abtreibungspraxis kämpfen. Den entsprechenden Beschluß faßte der Stuttgarter Gemeinderat mit den Stimmen von FDP, SPD und Grünen im Sommer vergangenen Jahres. Stapf benutzte dabei geschickt eine „Lücke“ in den gestrengen baden-württembergischen Richtlinien zum Schwangerschaftsabbruch. Diese untersagen zwar die Zulassung ambulanter Einrichtungen, aber sogenannte Belegbetten in Krankenhäuser bedürfen keiner staatlichen Genehmiung. So konnte auch das für seine harte Linie bekannte Stuttgarter Sozialministerium nicht gegen die Praxis vorgehen. Für den engagierten §-218Gegner Stapf war ausschlaggebend gewesen, daß in seiner Praxis in Langen bei Darmstadt überwiegend Frauen aus Baden-Württemberg eine Abtreibung vornehmen ließen. Nach einer Studie mußten 59 Prozent der betroffenen Frauen 1989 eine Fahrt nach Hessen, in andere Bundesländer oder nach Holland in Kauf nehmen. In der Landeshauptstadt war die Situation für Frauen, die eine Abtreibung wollten, bislang besonders prekär. 1989 wurden dort insgesamt nur 18 Abbrüche vorgenommen, in Großstädten vergleichbarer Größe waren es mehrere Tausend. Helga Lukoschat