„Auch Emire und Scheichs haben an Glaubwürdigkeit verloren“

■ Der Ägypter Muhammad Sit Ahmad über die Folgen des veränderten Ost-West-Verhältnisses und die Bedeutung der Idee einer „neuen Weltordnung“ für den Nahen Osten INTERVIEW

Muhammad Sit Ahmad gilt als der große alte Marxist Ägyptens. In seinen frühen Jahren war er in der kommunistischen Jugendorganisation Ägyptens aktiv und saß in der Zeit König Faruks und Nassers mehrmals im Gefängnis. In den sechziger Jahren wurde er Redakteur der großen Tageszeitung 'Al-Ahram‘. Als Mitglied des Führungskomitees der linken „Sammlungspartei“ arbeitete er später als Buchautor und Journalist für die linke Oppositionszeitung 'Al-Ahali‘ und gelegentlich auch für 'Al-Ahram‘. In den letzten Wochen machte er durch eine Serie von Aufsätzen über das Thema „neue Weltordnung“ auf sich aufmerksam.

taz: Was ist Ihrer Meinung nach die Verbindung zwischen den Ereignissen in Osteuropa und im Nahen Osten?

Muhammad Sit Ahmad: Die Versöhnung zwischen Ost und West mußte sich früher oder später zu einem Problem für den Süden entwickeln. Nun ist der Nahe Osten nicht das, was wir klassisch als Süden bezeichnen. Da gibt es mindestens zwei Zutaten, die zum Norden gehören — Israel und das Öl. Aber die Krise im Nahen Osten hat eine Resonanz in der Dritten Welt.

Was heißt „neue Weltordnung“ für den Nahen Osten?

Die Menschen im Nahen Osten glauben nicht an eine gemeinsame Weltordnung. Sie denken in „Wir“ und „Die“. „Wir“, das sind die Araber, die Muslime, die Unterentwickelten, die von den anderen Manipulierten, und die nicht wissen, wie sie einen Vorteil aus neuen Technologien ziehen sollen. „Die“, das sind diejenigen, die die Technologie gegen uns wenden, die uns manipulieren. Die Frage, was eine neue Weltordnung für den Süden bedeutet, ist offen. Kann das Ost-West-Spiel für Nord-Süd- Konflikte genutzt werden?

Nehmen wir zum Beispiel Südafrika. Vielleicht schaffen es Mandela und de Klerk. Ich bin mir da aber nicht so sicher. Schamir und Saddam dagegen tragen es auf die rauhe Methode aus. Der eine Nord — der andere Süd. Mubarak mit seiner weichen Linie ist im Moment an den Rand gedrängt. Ein anderer, Rafsandschani, der früher auf der rauhen Ebene zu agieren pflegte, schwenkt nun auf die weiche Linie um. Ob die weiche Linie tatsächlich machbar ist, bleibt aber weiterhin offen. Der Westen denkt, es gebe nun genug zum Verteilen, um dem Osten den Übergang mit einem Minimum an Schwierigkeiten zu erleichtern. Deutschland ist dabei ein neuer Modellfall. Ostdeutschland wurde von Westdeutschland für harte D-Mark absorbiert. Ob es der Westen tatsächlich schafft, ohne größere Probleme in den Osten zu expandieren, ist noch offen. Aber eines ist sicher: Er hat den Süden vergessen.

Bedeutet „neue Weltordnung“ Demokratisierung des Südens?

Saddams Konflikt mit Kuwait wäre früher als Konflikt zwischen einem „revolutionären“ und einem „traditionellen“ Regime interpretiert worden. Doch diese Zeiten sind seit dem Wegfall der Sowjetunion vorbei. Ein solcher Konflikt ist jetzt illegitim. Nach heutiger Sicht kämpfen zwei repressive Regimes gegeneinander. Es reicht nicht, die Saddams zu ersetzen. Auch Emire und Scheichs haben an Glaubwürdigkeit verloren. Es wäre wichtig, Institutionen zu schaffen, denen die Menschen vertrauen. Kann aber unserem Teil der Welt Demokratie aufgezwungen werden? So einfach ist das wohl nicht.

Wie sehen Sie die Rolle der USA in einer neuen Weltordnung? Wird es eine Pax Americana geben?

Nein, keine Pax Americana, sondern eine amerikanische Hegemonie. Die zunehmende Konkurrenz zwischen Europa, Japan und den USA wird in naher Zukunft noch zu keinen Ergebnissen führen. Frankreich ist der große Vorreiter. England ist zu angelsächsisch und Deutschland zu beschäftigt. Der kürzliche Rücktritt des französischen Verteidigungsministers ist sehr bemerkenswert. Der Golfkrieg ist ein erster Test für das Konkurrenzverhältnis, aber noch ist es zu früh. Irgendwann wird die Unipolarität durch eine Multipolarität ersetzt. Im Moment aber zeigen die USA den Europäern, daß sie die Position am Öl behalten wollen, denn das ist der Schlüssel für ihre zukünftige Überlegenheit.

Steckt die Linke in einem Dilemma im Golfkrieg?

Sie ist in einer schwierigen Situation im Süden. Terrorismus, Fanatismus und Fundamentalismus könnten die Linke im Süden ersetzen. Die Linke unterstützt nicht automatisch jede Form von Revolte. Aber sie kann dem Westen auch nicht folgen, wenn er fordert, alle Konflikte sollen in Zukunft friedlich gelöst werden. Das ist der innere Widerspruch der Linken. Gorbatschow sprach von einer Welt ohne Gewalt... Jetzt haben wir den schlimmsten aller Kriege im Namen der neuen Weltordnung. Ein Teil der Welt hat ein System geschaffen, um bestimmte Veränderungen zu rechtfertigen. Die Linke im Süden ist dabei benachteiligt. Für sie ist der traditionelle Klassenkampf immer noch aktuell fürs tägliche Dasein. Die Linke im Norden beschäftigt sich dagegen mit Problemen des Überlebens der Spezies Mensch und der Natur. Der Süden braucht zwar eine Perestroika, eine neue Struktur. Der Süden und die neue Weltordnung sind allerdings nicht auf der gleichen Wellenlänge. Das wird so bleiben, solange der Süden nicht an dieser Ordnung beteiligt wird. Interview: Karim Al Gawhary