Ein Dorado für Weiße-Kragen-Täter

In Osteuropa haben Wirtschaftskriminelle leichtes Spiel/ Vieles ist dort gesetzlich erlaubt, was im Westen verfolgt wird  ■ Von unseren Korrespondenten

Nicht nur der erzliberale Finanzminister der CSFR, Vaclav Klaus, das ganze Land fordert eine schnelle Zerschlagung der Einkaufs- und Vertriebsmonopole, seit diese die Verbraucherpreise in ungeahnte Höhen schrauben. Doch genau diese Privatisierung, die Versteigerung von Bäckereien, Gemüsehandel und Restaurants an finanzkräftige Tschechen und Slowaken wollen die Direktoren der Monopole umgehen.

Ihr Plan: Mit Hilfe von ausländischem Kapital gründen sie aus den ertragreichsten Verkaufsstellen jedes Unternehmens eine AG, die verbleibenden defizitären Geschäfte werden dann für die kleine Privatisierung freigegeben. Ihr Ziel: Mit Hilfe ihrer Kontakte zu den umworbenen ausländischen Investoren wichtige Funktionen im Leitungsapparat der neuen AGs besetzen zu können. Mit ihrem Vorgehen verstoßen die ehemaligen kommunistischen Kader dabei nicht einmal gegen das Gesetz, anders als in Polen, wo dieses Phänomen solche Ausmaße angenommen hat, daß die Regierung inzwischen die Staatsanwälte darauf angesetzt hat. Dort nämlich beschränkte sich die Nomenklatura nicht nur auf die Absicherung der Arbeitsplätze, sie ging auch noch dazu über, ganze Staatsbetriebe in die eigene Tasche zu privatisieren.

Geld mit Scheinfirmen

Das funktioniert so: Man gründe als Direktor einer Fabrik eine Privatfirma, die weder den Preis- noch den Lohnbeschränkungen der Regierung unterliegt. Sodann bilde man als Direktor beider Firmen eine gemeinsame Kapitalgesellschaft, in deren Gesellschaftsvertrag sich die Staatsfirma zu zahlreichen äußerst kostengünstigen oder gar kostenlosen Leistungen gegenüber der gemeinsamen Gesellschaft verpflichtet. Um dem ganzen die Krone aufzusetzen, kann sich der Staatsbetrieb dann verpflichten, seine gesamte Produktion unter Selbstkosten an den Privatbetrieb zu liefern, der sie dann ohne Begrenzung auf dem freien Markt für ein Vielfaches davon losschlägt. Da der Betriebsrat dem zustimmen muß, übernimmt die Privatfirma auch gleich noch einen Teil der Belegschaft, die damit von der Lohnzuwachssteuer befreit wird und die staatliche Lohnpolitik unterlaufen kann. Der einzige der draufzahlt, ist dann der Staat.

Im Laufe der letzten Jahre sind Tausende solcher Scheinfirmen entstanden. Die wenigsten davon werden verfolgt, weil die Staatsanwälte oft gar nicht von ihrer Existenz erfahren — das Phänomen liegt zu sehr im Interesse von Direktionen und Belegschaften. Auf die Spitze getrieben wurde es zum Beispiel in der Danziger Werft, auf deren Gelände letztes Jahr 49 private Gesellschaften gezählt wurden und im staatlichen Lebensmittelkonzern Iglopol, den die Direktion unter der Hand in eine Aktiengesellschaft verwandelte. Solche Praktiken waren lange Zeit legal — die Gesetzeslücken waren so groß, daß solchen Scheinfirmen nicht beizukommen war.

Da die Länder Osteuropas alle ähnliche wirtschaftliche Strukturen aufwiesen, führten marktwirtschaftliche Reformen auch zu ähnlichen Mißbrauchsmöglichkeiten. So delegalisierte das Kabinett Antal in Ungarn gleich nach Amtsantritt ähnliche Praktiken. Beispielsweise war versucht worden, Ungarns größte Hotelkette, die Ungarhotels, für den Wert nur eines einzigen Hotels einer südkoreanischen Firma zu verkaufen. Inzwischen können solche Transaktionen nur noch über die staatliche Vermögensagentur abgewickelt werden, die umständliche und bürokratische Prüfungen vornimmt und schließlich die zu privatisierenden Staatsbetriebe versteigert. Dies gilt selbst für kleine Geschäfte und Restaurants, die in Polen häufig unter der Hand vergeben wurden, was wiederum den Obersten Rechnungshof auf den Plan rief. Auch der Handel mit staatlichen Grundstücken bietet dort viele Mißbrauchsmöglichkeiten.

Diese Art von Spekulation hat auch in Prag inzwischen Einzug gehalten: Dort vereinigen sich mittlerweile gewitzte Mieter städtischer Mietshäuser zu Genossenschaften, in deren Namen sie der Stadt dann das von ihnen bewohnte Haus abkaufen. Nicht selten unterstützt von gutinformierten Mitarbeitern der Stadtverwaltungen, die auf diese Weise auch für ihr eigenes Wohl sorgen. Da die Verwaltungen bisher nicht in der Lage waren, eine angemessene Wertschätzung der Gebäude vorzunehmen, erstehen die Genossenschaften diese oft zu Traumpreisen.

Staatliche Häuser gibt's zu Spottpreisen

Nachteil: Obwohl auch ein Verkauf zu Schleuderpreisen nicht gesetzwidrig ist, muß doch der Gemeinderat seine Zustimmung zum Verkauf geben. Nachdem allein auf der Prager Kleinseite bereits das 82. Haus für ein Butterbrot die Besitzer wechselte, wurde der Gemeinderat hellhörig. Alle weiteren Kaufansuchen sollen zur genaueren Nachprüfung zurückgestellt werden. Die tschechoslowakische Ministerin für Handel und Tourismus, Vlasta Stepova, entwickelte einen Plan, der den Direktoren der Staatsbetriebe nur zu gelegen kam. Sie ging davon aus, daß im Westen die Bevölkerung vor allem in Supermärkten und weniger in kleinen Geschäften einkauft. Daher sollte sich in jedem Bezirk des Landes das jeweils größte Versorgungsunternehmen mit einem ausländischen Partner zusammenschließen und mit seiner Hilfe an der Peripherie der Städte riesige, bisher in der CSFR weitgehend unbekannte Einkaufszentren errichten. Daß es im Westen neben den Einkaufszentren auch eine Menge sogenannter Tante- Emma-Läden gibt, schien der Ministerin verborgen geblieben zu sein. Auch wenn sie von der Regierung inzwischen in ihre Schranken gewiesen wurde — die kleinen haben bei der Privatisierung die schlechteren Chancen. Während die staatliche Privatisierungskommission umständlich Versteigerungen für jeden einzelnen Laden organisieren muß, können die Betriebsleiter der Groß- und Einzelhandelsbetriebe in aller Ruhe nach ausländischen Investoren Ausschau halten.

Ausländische Anleger nicht erschrecken

Auch zweifelhafte Investoren bringen in Polen ihr Schäflein ins Trockene. Dort wurden in den letzten Monaten der Regierung Rakowski zahlreiche Joint-ventures zugelassen, die beim näheren Hinsehen mit dem von Polen gewünschten Know-how- Transfer wenig zu tun haben, die aber nun nicht mehr rückgängig gemacht werden, weil die Regierungen Mazowiecki und Bielecki ausländische Anleger nicht erschrecken wollen. So wurde das Land von über einem Dutzend Spielkasinos überzogen, von denen einige ein geradezu kriminelles Geschäftsgebaren an den Tag legten. Einige Joint-ventures wurden mit dem Ziel gegründet, als Abnehmer für ausländischen Giftmüll zu dienen, wieder andere dienen nach polnischen Presseberichten dazu, Gelder der amerikanischen und der italienischen Mafia zu waschen. Inzwischen gibt es zirka 3.000 genehmigte Joint-ventures in Polen und eine Unzahl kleiner polnischer Kapitalgesellschaften, die für die Behörden nur noch schwer zu übersehen sind. Weiße-Kragen-Täter machen sich dabei auch die Vorteile einiger westlicher Steuerparadiese zunutze. Für Polens Behörden ist es dann praktisch nicht mehr feststellbar, wer tatsächlich hinter einer Briefkastenfirma in Liechtenstein, Panama, der britischen Isle of Man oder einem Schweizer Kanton steckt. Da Polen nur mit wenigen westlichen Ländern Rechtshilfe- und Auslieferungsabkommen hat, eignet es sich auch selbst als Sitz für Briefkastenfirmen ganz ausgezeichnet. Sabine Herre (Prag),

Tibor Fenyi (Budapest) und

Klaus Bachmann (Warschau)