„Ich erwarte bei den Einnahmen die Gleichstellung mit den Westländern“

■ Sachsens Finanzminister Georg Milbradt (CDU) fordert als ersten Schritt zur Haushaltssanierung in den ostdeutschen Bundesländern größere Stücke vom Umsatzsteuerkuchen INTERVIEW

taz: Kann mit den in Bonn nun beschlossenen fünf Milliarden Mark Soforthilfe aus dem „Fonds Deutsche Einheit“ die drohende Pleite der ostdeutschen Kommunen abgewendet werden?

Dr. Milbradt: Durch die vorgezogene Zahlung kann sich unsere augenblickliche Situation von der Kassenseite her bessern. Wenn allerdings über das ganze Jahr gesehen unsere Einnahmen geringer sind als die Ausgaben, nutzt uns aber die Verschiebung der Zahlungsrhythmen nichts. Wir brauchen insgesamt mehr Geld. Speziell bei den Gemeinden wollen wir nun die Rate für das zweite Quartal, also April bis Juni, in den nächsten Tagen ganz oder teilweise auszahlen, um ihnen insoweit ein wenig zu helfen. Gerade bei den Kommunen besteht ja das Hauptproblem, daß sie — verglichen mit den Ausgabe- Notwendigkeiten — zuwenig Geld haben und früher oder später, und jetzt eben später, in die Defizitprobleme reinkommen.

Am Dienstag hat Bundeswirtschaftsminister Möllemann ein Zehnpunkteprogramm, „Strategie Aufschwung Ost“, versprochen. Mit diesem Plan sollen unter anderem private Investitionen gefördert und strukturschwache Regionen aufgepäppelt werden. Was halten Sie von diesem Plan?

Ich freue mich, daß Herr Möllemann, der ja auch für seine Durchsetzungsfähigkeiten bekannt ist, dieses Thema nun auch zu seinem persönlich-politischen macht. Insofern ist das eine gute Nachricht. Dennoch muß man überlegen: Wo liegen an sich die Probleme im Osten? Und meiner Meinung nach haben wir im Augenblick mit drei Hauptschwierigkeiten zu kämpfen. Das eine ist die Eigentumsfrage. Durch die Entscheidung im Einigungsvertrag, Restitution, also Rückgabe, vor Entschädigung zu setzen, haben wir, die Länder und Gemeinden, enorm viel Anträge zu bearbeiten, die Voraussetzungen auch für Investitionsentscheidungen sind. Unseren Ämtern liegen rund eine Million Anträge auf 1,5 Millionen Objekte vor, die abzuarbeiten sind. Wir benötigen für diese Aufgabe juristisch aus- und vorgebildetes Personal, das in relativ kurzer Zeit die entsprechenden Bescheide trifft, und dann auch das entsprechende Personal, um dies grundbuchmäßig nachzuvollziehen. Da hapert es ziemlich.

Und da sind wir genau bei dem zweiten Problem: Auch für die anderen Aufbauleistungen brauchen wir erheblich mehr administrative Hilfe, als das bisher der Fall ist. Der dritte Komplex ist die Finanzschwäche der Länder und Gemeinden im Osten. Die Kommunen werden ja kaum in der Lage sein, für die öffentliche Infrastruktur erheblich mehr zu tun, wenn sie nicht einmal ihre laufenden Ausgaben decken können.

Das scheint ja nun mit den Finanzspritzen aus Bonn erst einmal möglich zu sein.

Wir haben auf der letzten Finanzministerkonferenz dargelegt, daß den Ländern und Gemeinden in diesem Jahr 50 Milliarden Mark fehlen. Diese Zahl ist von den Westländern und vom Bund bezweifelt worden. Wir haben in dieser Woche und Anfang der nächsten Woche Besprechungen in Bonn, um unsere Zahlen zu verifizieren. Und dann erwarte ich, daß auf der Finanzministerkonferenz am 21. Februar unter Beteiligung auch des Bundes ernsthaft an der Lösung unseres Defizitproblems gearbeitet wird.

Nun hat kürzlich der nordrhein-westfälische Finanzminister Heinz Schleußer (SPD) bemängelt, daß aus den neuen Bundesländern noch immer keine gesicherten Haushaltszahlen vorliegen, auf deren Grundlage allein sich überhaupt verläßlich kalkulieren ließe. Wann ist mit den geforderten Eckdaten zu rechnen?

Es liegen Zahlen vor. Ich habe diese Äußerungen von Herrn Schleußer auch zurückgewiesen. Die Länder im Osten haben ihre Haushalte aufgestellt, haben gemeinsam auf gleicher Rechengrundlage den Westländern die Rechnung aufgemacht. Das Resultat war, daß die Länder ein Defizit von 43,5 Milliarden Mark haben. Wenn man noch das kommunale Defizit hinzurechnet — bei den Finanzausgleichsfragen werden ja die Kommunen zu den Ländern gerechnet — dann kommt man gut und gerne auf 50 Milliarden Mark.

Nun mag es zutreffen, daß die eine oder andere Zahl zu korrigieren ist, aber an der Größe des Problems ändert sich dadurch nichts. Und bisher diskutieren wir bezüglich der Westländer über Steueranteile, die sich zwischen drei und fünf Milliarden Mark bewegen. Gegenüber diesen beiden Zahlen zeigt sich, daß jetzt nicht das Nachrechnen angesagt ist — wir sind ja bereit, unsere Bücher zu öffnen —, sondern daß man sich mit dem Grundproblem auseinandersetzen muß: daß nämlich die Annahmen, die im Einigungs- und im Währungsvertrag über die Einnahmemöglichkeiten im Osten geherrscht haben, so nicht eingetreten sind. Wir können nachweisen, daß wir im Vergleich mit einem westlichen Bundesland praktisch nur 20 Prozent der Steuereinnahmen pro Kopf haben und daß das bei den Gemeinden sogar noch darunter liegt.

Deswegen fordern wir ja auch, daß der Einigungsvertrag in diesen Punkten korrigiert wird, und zwar völlig unabhängig von der Frage der Ausgabeseite. Ich halte es für nicht richtig, wenn ein Bürger Ost bei der Verteilung der Umsatzsteuer nur mit 55 Prozent eines Bürgers West gewertet wird. Und wieso wird ein Bürger in Ost-Berlin mit 100 Prozent gewichtet? Wir fordern als ersten Schritt die gleichberechtigte Teilhabe an dem Umsatzsteuerkuchen. Und zweitens möchten wir natürlich auch, daß die steuerkraftbedingten Unterschiede wie im Saarland oder in Bremen ausgeglichen werden, und das am besten über den Länderfinanzausgleich. Und wenn das aus welchen Gründen auch immer nicht möglich sein sollte, ist der Bund gefordert, seinen Beitrag zu leisten, so wie er Jahrzehnte hindurch Berlin gefördert hat.

Ich verlange nicht, daß die Westbundesländer den Ostbundesländern ein höheres Niveau der öffentlichen Leistungen oder die Ineffizienz der Verwaltungen bezahlen. Ich erwarte aber von den Westländern, daß wir ihnen auf der Einnahmeseite gleichgestellt werden und daß auf der Ausgabenseite die besonderen Probleme auch anerkannt werden.

Fühlen Sie sich als Finanzminister von Ihren Parteifreunden im Westen im Stich gelassen?

Im Stich gelassen nicht. Ich fühle mich im Augenblick nicht richtig verstanden. Ich habe nicht den Eindruck, daß es mangelnder Wille, sondern mangelnde Information ist, die Notwendigkeiten einzusehen. Offensichtlich ist die Leistungsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft zu hoch angesetzt worden. Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden.

Es ist doch klar: Wenn erhebliche Entwicklungsunterschiede zwischen West und Ost auf Dauer bestehen bleiben, wenn sich die Zahlen weiter fortschreiben, kann dies ähnliche Verhältnisse heraufbeschwören wie die Entwicklungsunterschiede zwischen Nord- und Süditalien. Interview: Barbara Geier