Säulen aus der Zahnpasta-Tube

■ Tiefes und Schrilles aus dem bremischen Kunstunterricht im Übersee-Museum

Es gibt sie noch: blaßrot, käsegelb und unterwasserblau schwimmen die Kartoffeldruck- Fische über den Zeichenkarton. Auch die Papp-Skulpturen aus Weißer-Riese-Kartons und die gepflegten Linolschnitte sind noch nicht ausgestorben. Die gestern im Überseemuseum eröffnete große Ausstellung „mal Zeit für Kunst — Arbeiten aus dem Kunstunterricht in Bremen“ verheimlicht die immergleichen Erzeugnisse kunstlehrerhafter Einfallslosigkeit nicht. Aber sie entführt den Besucher auch in die spannenden Zonen künstlerischer Ein- und Ausdruckskraft und beweist: So tiefgründig, so schrillbunt, so skurril und schwungvoll kann bremischer Kunstunterricht sein.

Da geht der Besucher zum Beispiel unter klassischen Säulen, die einer überlebensgroßen Zahnpastatube entsprungen sind. Dahinter ist der Tisch mit Pappmache gedeckt: Riesenlöffel, Riesenteller, Riesentassen für Riesenmäuler. Die 9. Klasse des Schulzentrums Obervieland hat dazu nicht nur die eigenen Köpfe in Ton modelliert, sondern auch einen kalkweißen „Arsch mit Ohren“.

Der glotzt dumm in Richtung Glotze: Ein Fleischermesser hat den Fernseher aufgeschlitzt, rotes Blut sickert hervor. Nebenan trägt der Bildschirm, der in so vielen Wohnstuben die Welt bedeutet, verstaubte Rüschen-Gardinen.

Daß Kunst nicht nur etwas für die Augen ist, hat die Sonderschule für Körperbehinderte vorgeführt: Mit duftenden Stoffbändern, Klangröhren, Tonköpfen zum Reingreifen und Befühlen merkwürdig kalt-glitschig und staubig-leichten Inhalts.

Über 40 Schulen haben der Ausstellung des Bundes Deutscher Kunsterzieher (BDK) zugearbeitet, die erstmals einen Überblick über den Bremer Kunstunterricht in allen Schulstufen bietet. Bewiesen werden soll damit auch: Wenn die Schule Zeit für Kunst läßt, dann entsteht auch Kunst. Und wenn die 12. Klasse der Waldorf-Schule wegen Kunstreise sogar extra nach Italien fährt, dann wird sie gar impressionistisch. Aber dort, wo LehrerInnen-Mangel, Raum- und Materialnot oder der ständige Stundenausfall Kunst zum vernachlässigten Nebenfach macht, sind die Ergebnisse genauso lieblos wie die Schulstunden, in denen sie entstanden. Ase