Hürdenlauf für sowjetische Juden

■ Bürokraten schlagen zu: Einreise und Aufnahme von Juden aus der Sowjetunion in die Bundesrepublik seit gestern erheblich erschwert/ Visumerteilung durch deutsche Konsulate kann jetzt Monate dauern

Berlin (taz) — Seit gestern können Juden, die aus der UdSSR nach Deutschland reisen und in den Bundesländern um ein Bleiberecht bitten, abgewiesen werden. Theoretisch jedenfalls. Denn seit dem 15. Februar gelten die Regelungen, die die Ausländerreferenten des Bundes und der Länder Ende Januar in Fulda beschlossen haben.

Einreise und Aufnahme sowjetischer Juden richten sich ab sofort nach den Vorschriften des „Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge“. Zwar wurde — entsprechend der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar — auf eine Einreisebeschränkung verzichtet, das Ausreiseverfahren jedoch erheblich erschwert. Bislang kamen die von Antisemitismus Bedrohten oft Hals über Kopf hierher, in der Regel nur mit Touristenvisum.

Damit ist es nun vorbei. Jetzt sind für die Entgegennahme von Anträgen sowjetischer Juden auf Erteilung eines Visums ausschließlich die deutschen Auslandsvertretungen in der UdSSR zuständig. Die Ausreisewilligen müssen sich in die Warteschlangen vor den Konsulaten in Leningrad, Moskau, Kiew, Minsk oder Odessa einreihen, Anträge ausfüllen und nachweisen, daß sie unter die Bestimmungen des „begünstigten Personenkreises“ fallen. Unklar ist, aufgrund welcher Kriterien entschieden wird, wer Jude ist und wer nicht.

Dann mahlen die Mühlen der Bürokratie. Die Ausreiseanträge werden dem Bundesverwaltungsamt (BVA) in Köln zugeleitet, das die Verteilung nach einem Kontingentschlüssel auf die Bundesländer vornimmt. Das BVA schickt die Anträge an die Zentralstellen der Länder, diese bearbeiten sie und melden die Aufnahmezusagen wiederum dem BVA. Erst dann, und darüber können Monate vergehen, unterrichtet das BVA die Konsulate in der Sowjetunion, ob und mit welchen Wohnortauflagen das Visum erteilt werden kann. Die Gefahr besteht, daß die Ausreisewilligen während der Wartezeit als „Dissidenten“ diskriminiert oder als sich jetzt bekennende Juden von antisemitischen Organisationen bedroht werden.

Sollten sie den Weg nach Deutschland schaffen, verbessern sich zumindest die aufenthaltsrechtlichen Bedingungen. Die Emigranten, die alle bürokratischen Hürden genommen haben, werden nicht wie bisher in Berlin nur „geduldet“ oder wie in den Bundesländern als obdachlose Touristen behandelt, sondern erhalten als Kontingentflüchtlinge eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Durch die Verteilung auf die Bundesländer wird nun Berlin entlastet, das fast alle der rund 4.800 Neuzuwanderer aus der UdSSR aufgenommen hat. Die hier bereits lebenden Emigranten werden auf die Aufnahmequote der Länder angerechnet und erhalten ebenfalls die unbefristete Aufenthaltserlaubnis. aku