„Wir wollen Demokratie und Autonomie“

■ Kemal Fuad, Sprecher der irakischen „Kurdistan Front“ undMitglied der „Patriotischen Union Kurdistans“ INTERVIEW

taz: Was empfindet ein irakischer Kurde, wenn im Kampf gegen Saddam Hussein, den die Kurden in den letzten 20 Jahren — einmal abgesehen vom Iran — allein geführt haben, auch kurdische Städte bombardiert werden?

Fuad: Wir sind natürlich dagegen, daß zivile Ziele bombardiert werden, nicht nur in Kurdistan. Wir wissen aber, daß Saddam Hussein alle wichtigen militärischen Kommandostellen in Wohngebiete hat verlegen lassen. Das gilt ebenso für kurdische Städte, in denen sich überall auch militärische Einrichtungen befinden. Nach unseren Informationen, die zumindest für die kurdischen Gebiete im Nordirak ziemlich genau sind, sind die Angaben über zivile Tote auch übertrieben. Bisher ist einmal in Kirkuk ein Wohnviertel voll getroffen worden, das sich in der Nachbarschaft eines Militärstützpunktes befindet. Von den Toten im Nordirak sind vielleicht 10 Prozent zivile Opfer. Das läßt sich in einem Krieg nicht vermeiden.

Wäre der Krieg nicht überhaupt zu vermeiden gewesen? Brauchte es tatsächlich einen Krieg von diesem Ausmaß, um Saddam Hussein zu stoppen?

Die Welt hat zu spät auf Saddam Hussein reagiert. Nach dem Angriff Iraks auf den Iran wären Wirtschaftssanktionen sinnvoll gewesen und hätten sicher auch Erfolg gehabt. Doch damals wollte weder der Westen noch der Osten in Saddam Hussein den Aggressor sehen. Dann war es zu spät, ihn unter Druck zu setzen. Saddam hatte sich für Krieg entschieden und wäre durch Sanktionen nicht davon abzubringen gewesen. Deshalb durfte die Welt nicht länger zuschauen.

Warum ist es den Kurden und anderen Oppositionellen im Irak in den letzten Jahren nicht gelungen, etwas gegen Saddam Hussein zu unternehmen?

Das lag zum einen an der Unterstützung, die er aus dem Ausland erhielt, zum anderen an der Brutalität, mit der er jede Opposition unterdrückte.

Es gibt im Westen Spekulationen darüber, daß die Armee putschen könnte.

Nein, bislang gibt es keine Anzeichen dafür. Die dem Regime und seinem Führer Saddam Hussein ergebene Republikanergarde sorgt auch dafür, daß sich Unwillen nicht manifestieren kann.

Würden Sie auch einen Marsch der „Allianz“ bis nach Bagdad begrüßen?

Mit Saddam Hussein wird es in der Region keinen Frieden geben. Wenn er aber aus Kuwait vertrieben wird, ist er politisch so geschwächt, daß die irakische Opposition ihn stürzen kann. Eine Besetzung Iraks durch ausländische Truppen ist deshalb weder notwendig noch wünschenswert. Wir sind prinzipiell gegen alle fremden Truppen in der Region.

Was erhoffen und erwarten die Kurden im Irak sich denn im Anschluß an den Krieg?

Wir hoffen auf eine demokratische, förderative Republik mit ethnischer Gleichberechtigung und kultureller Autonomie für die Kurden. Wir erwarten keinen kurdischen Staat, weil wir die Lage realistisch einschätzen. Die politische Landkarte wird erhalten bleiben, deshalb gehen wir davon aus, daß die USA auch eine Besetzung Nordiraks durch die Türkei nicht dulden werden. Darüber hinaus erwarten wir eine Nahostkonferenz, auf der außer über Palästina und Israel auch über das kurdische Problem geredet wird.

Es gibt irakische Exilpolitiker, die nach einem Ende des gegenwärtigen Regimes ein Chaos zwischen den verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen im Lande befürchten. Sind Sie optimistischer?

Die Gefahr besteht, aber es gibt auch positive Alternativen. In der irakischen Opposition gibt es vier Grundströmungen. Außer den Kurden und den arabischen Nationalisten, zu denen auch die Baath-Opposition gehört, existieren noch die Islamisten und die linken, liberalen Kräfte. Die Kurden können mit den Linken und Liberalen gut zusammenarbeiten und sind überdies die am besten organisierte Kraft. Unsere Kämpfer können ein Machtvakuum verhindern und zumindestens in den kurdischen Gebieten dafür sorgen, daß es nicht zu neuen Auseinandersetzungen kommt. JG