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Philosophen zum Golfkrieg: Antworten auf eine taz-Umfrage ...

■ Was ist Wirklichkeit?

Das Risiko, mitten in einer so problematischen Situation von philosophischer Seite her etwas zu sagen, ist groß. Zu groß ist der Eindruck des Augenblicks, der den Blick verzerrt; zu groß die Versuchung, sich in dieser oder jener Beziehung in seinem Denkansatz bestätigt zu fühlen. Vor allem aber hat es keinen Sinn, hier von allgemeinen Begriffen auszugehen, um sie der besonderen Situation aufzudrücken. Man muß sich die Mühe machen, auf die Besonderheitenen détail einzugehen, und darf die umfassenderen Zusammenhänge dabei nicht aus den Augen verlieren. In diesem Krieg für Frieden zu sein, ist zu wenig, denn wer wäre das nicht! Die Frage ist vielmehr, was darunter verstanden werden soll. Wir haben gut reden, von wegen Frieden, wir sind weit weg, uns bedrohen keine Raketen. In Israel ist das anders, und mit dieser Bedrohung hätte man dort erst recht leben müssen, wenn es nicht zum Krieg gekommen wäre. Saddam Hussein kam nicht erst in den letzten Monaten beiläufig auf den Gedanken, Israel zu vernichten. In wenigen Jahren hätte er dazu auch die militärischen Mittel gehabt. Was würde dann aus dem schönen Frieden geworden sein, wenn Atomsprengköpfe Richtung Israel geflogen wären? Seit dem sinnlosen achtjährigen Krieg gegen den Iran, seit der Vergasung von Kurden im eigenen Land sollte niemand mehr Zweifel an seinen Absichten gehabt haben. Das Argument, man hätte stärker auf die Wirksamkeit der Sanktionen setzen müssen, ist auch nicht gerade sehr human: Was wäre denn gewonnen gewesen, wenn im Irak die Nahrungsmittel ausgegangen wären; wenn Bilder verhungernder Kinder um die Welt gegangen wären? Saddam hätte währenddessen die Zeit gewonnen, die ABC-Waffen in Stellung zu bringen.

Wenn es dennoch gut ist, daß die Friedensbewegung sich Gehör verschafft, hat dies andere Gründe. Es ist ein Fortschritt, daß Krieg nicht mehr widerspruchsfrei und fatalistisch als „Schicksal“ angenommen wird, vor allem hierzulande. Und es kommt in jedem Fall darauf an, die Regierungen in Unruhe zu halten und ihnen keine Entscheidung leichtzumachen. Ferner ist es entscheidend, daß aus der Friedensbewegung heraus und mit Hilfe der kritischen Öffentlichkeit die Waffenexporte an den Pranger gestellt werden konnten, konkret mit den zugehörigen Namen: Preussag, Degussa, AEG, Philips, Klöckner, Mannesmann, Karl Kolb, Hochtief, Walter Thosti, Buderus, MAN, Rheinmetall, KWU, Magirus Deutz und wie sie alle heißen. Man muß sich diese Namen gut merken.

Plötzlich hatte man es in Bonn sehr eilig. Vermutlich, weil die enge Verflechtung von Politik und Wirtschaft in dieser Frage die explosive Kraft einer Bombe hat. Daß die breite Koalition der Friedensbewegung zwar unbehelligt demonstrieren konnte, diejenigen aber, die etwa vor den Fabriktoren von Siemens in Berlin die Rüstungsproduktion anklagten, gnadenlos weggeprügelt wurden, wirft ein erhellendes Schlaglicht darauf, wo die wunde Stelle wirkich sitzt. Diese Wunde muß man offenhalten. Aufgrund dieses Problems der Waffenexporte ist es sinnlos, die USA und andere dafür anzuklagen, den Krieg gegen den Irak zu führen. Denn wenn man danach fragt, was diesen Krieg verursacht hat, muß man eben weiter zurückgehen, weiter als bis zur Annektion Kuwaits durch den Irak. Die hätte als Tatsache für sich, bedauerlich oder nicht, niemanden interessiert. Gefährlich wurde sie nur, weil damit offenkundig wurde, daß Saddam das gewaltige Militärpotential, das er angesammelt hatte, auch einsetzen würde und Kuwait nur die erste Station wäre. Die Waffen aber kamen zu einem hohen Prozentsatz aus Deutschland, vor allem die fatalsten, die Reichweite der Scud-Raketen und das Giftgas, das mit deutscher Hilfe in Samarra hergestellt wurde: Der Tod ist wahrlich ein Meister aus Deutschland. Daß Saddam das Hätschelkind des gesamten Westens war, solange er gegen den Iran Krieg geführt hatte, ändert daran wenig. Ganze Chemiefabriken wurden von deutschen Firmen in der Wüste gebaut, in denen Senfgas und Blausäure produziert werden konnten. Blausäure war auch Bestandteil jenes Zyklon B, mit dem in den Konzentrationslagern Millionen von Juden ermordet worden sind.

Damit nicht genug, wurden auch biologische Waffen geliefert, von den „konventionellen“ Waffen ganz abgesehen, bei denen sich der zu Daimler Benz gehörende Rüstungskonzern MBB besonders hervorgetan hat. Und schließlich wurde im irakischen Mosul ein sogenanntes Militärforschungszentrum errichtet, in dem deutsche Techniker und Ingenieure die irakischen Militärs in moderner Kriegsführung unterrichteten. Auch etwa im Einsatz des Ökoterrorismus, derÖkobombe, die sich als ein ganze neues und furchtbares Instrument im Arsenal des Kriegs entpuppt?

In anderen Ländern besteht zu Recht keinerlei Verständnis dafür, daß „die Deutschen“ den Irak erst hochgerüstet haben, um dann mit den Folgen nichts zu tun haben zu wollen. Man kann sich dem nicht entziehen, indem man darauf hinweist, daß man ja zu den „guten“ Deutschen gehört, während die anderen, die „bösen“ Deutschen, heimlich die Waffen exportierten. Für das, was in diesem Staat passiert, sind wir nach außen hin gemeinsam verantwortlich. Der Dämpfer, den „die Deutschen“ bekommen, kommt im übrigen durchaus zur rechten Zeit. Von deutschem Boden werde nur noch Frieden ausgehen, hatte der Kanzler vollmundig verkündet — Worte, von denen man in der Tat nicht glaubte, daß sie so schnell schon so hohl klingen würden. In genau dem Augenblick, da der neue deutsche Staat sich anschickte, auf die Bühne der Weltpolitik zurückzukehren und manch einem schon der Kamm schwoll vor nationalem Stolz — in genau dem Augenblick hat dieser Staat gezeigt, daß er noch völlig unreif dafür ist.

Für Geld, zu dem Schluß darf man kommen, machen die Deutschen alles; bei den Konsequenzen machen sie sich dann aus dem Staub. Es genügt nicht, daß der Waffenexport und die Giftgasherstellung öffentlich geächtet werden — das ist moralisch und es ist billig. Es bedarf vielmehr strikter gesetzlicher Verbote und wirksamer Kontrollen, möglichst nicht durch den Verfassungsschutz. Umgehungen des bereits bestehenden Kriegswaffenkontrollgesetzes sind nicht „einfache Wirtschaftskriminalität“, sondern Verbrechen. Warum, so muß man bohrend fragen, wurden denn entsprechende Gesetzesinitiativen zwei Jahre vor dem Drama von der Bundesregierung auf Eis gelegt? Es ist auch ein Skandal, daß beispielsweise die Ermittlungen gegen den Chemie- und Gaskonzern Bayer, der noch zur Jahreswende 1987/88 eine Anlage zur Produktion von „Pflanzenschutzmitteln“ in den Irak lieferte, einfach eingestellt worden sind. Kann man sich hierzulande für Geld denn auch den Staatsanwalt kaufen? Aber diese Bundesregierung hatte ja auch die Stirn, öffentlich zu behaupten, ihr lägen „keine offiziellen Informationen“ über westliche Hilfe bei der Rüstungsproduktion im Irak vor.

Dies alles zählt zu den Besonderheiten der Situation, in der wir stehen, und die zu berücksichtigen sind, wenn man sich um ein Urteil über den Krieg bemüht. Es erweist sich erneut, daß der Krieg die Transversale schlechthin ist: Er durchquert und durchkreuzt alles und jedes, auch auf weite Distanz. Nichts ist mehr wie zuvor, alles wird denkbar, alles ist möglich. Dieser Krieg selbst ist mit keinem zuvor vergleichbar. Zu seinen Besonderheiten zählt, daß die Schlacht um die Lufthoheit im elektromagnetischen Raum einen ernormen Stellenwert einnimmt. In diesem Raum wird um die Wirklichkeit gestritten, die die Menschen im letzten Winkel der Erde noch erreichen soll. Diese Schlacht begann schon lange vor dem Krieg und dauert weiterhin an in einem Grade, daß ein Zyniker an die Mauern schreiben konnte: „Stell dir vor, es ist Krieg, und der Fernseher ist kaputt.“

Drängende philosophische Fragen rücken da zwangsläufig in den Mittelpunkt: Was ist Wirklichkeit? Wie wird sie hergestellt? Aber in Wahrheit wird das, was auch in Friedenszeiten betrieben wird, hier nur in ungeschminkter Form erfahrbar: Eine Nachricht ist nicht eine Wiedergabe von Fakten, sondern eine Interpretation derselben. Vielleicht ist nun endlich jener hartnäckige Glaube einmal zu ruinieren, Information habe stets mit einer objektiv feststellbaren Realität zu tun. Informationen werden vielmehr ausgewählt und gezielt kanalisiert, und zwar längst im erdumspannenden Maßstab; das Monopol dafür liegt bei den Industriestaaten und insbesondere den USA. Es kommt darauf an, diesen Mechanismus ans Licht zu ziehen; man müßte geradezu eine gewisse Lust daraus ziehen, sein Funktionieren bis in die feinsten Verästelungen hinein zu verfolgen.

Unerhört an diesem Krieg ist ferner die Frontstellung: Man kann durchaus davon sprechen, daß sich hier Glauben und Technologie gegenüberstehen, das heißt, es stehen sich zwei Religionen gegenüber — der unbeirrte Glaube an Gott und der Glaube an die unbeschränkte technische Machbarkeit. Nicht daß Saddam den Glauben glaubhaft inkarnieren würde, aber er kann ihn wirkungsvoll benutzen; selbst die Massen im fernen Marokko demonstrieren dafür, daß es eine Pflicht sei, „im Dienst für Gott zu sterben“. „Mit unserem Blut werden wir uns für dich opfern, o Islam.“ Freilich erkennt man auch im Westen momentan wieder den Vorteil der Berufung auf Gott (er war schließlich immer die „ultima ratio“) und holt ihn aus der Versenkung zurück, und sei es nur für einen „Tag des Gebets“. Aber war nicht schon die iranische Revolution auf so großes Befremden bei vielen im Westen gestoßen, weil man da im Namen Gottes einen politischen Umsturz sich vollziehen sah, während man doch geglaubt hatte, Gott sei tot?

Dieser Krieg ist weder gottgefällig, noch gut, noch gerecht, sondern allenfalls unumgänglich. Er wird keinen Sieger haben; zum Triumph wird es nicht den geringsten Anlaß geben. Die strukturelle Konfrontation wird mit dem Ende des Krieges nicht beendet sein, denn es handelt sich um die Konfrontation zwischen Dritter Welt und Erster Welt; daß die Frontlinien hierbei unscharf verlaufen, ändert daran nichts. Die Legitimität des Anliegens der Dritten Welt und der arabischen Welt, nicht unter irgendwelcher Vorherrschaft zu stehen und eine gerechtere Weltordnung durchzusetzen, bleibt ungebrochen bestehen. Es liegt an Europa, hier in Zukunft eine besonnenere Rolle zu spielen, wie sie von Frankreich ja auch in diesem Fall vorgeschlagen worden ist. Es geht darum, eine Lösung für Palästina zu finden, ebenso für die Kurden, dieses Volk ohne Staat. Es geht darum, sich stärker mit den Gegebenheiten dieses anderen Kulturkreises zu befassen, um mehr Verständnis für dessen Eigenheiten zu gewinnen, einen Monismus der westlichen Welt zu verhindern, Kränkungen des Stolzes des Anderen zu vermeiden, und jeder neuerlichen dualistischen Weltsicht eine pluralistische entgegenzusetzen.

Mag sein, daß es zu den Besonderheiten mit exemplarischem Charakter zählt, daß sich die Vereinten Nationen zum ersten Mal eine exekutive Gewalt angeeignet haben, die ihre bisherige Unverbindlichkeit korrigiert. Aber auch wenn im Falle dieses Krieges mit guten Gründen die Meinung vertreten werden kann, der Krieg sei unvermeidlich gewesen: Die Ächtung des Krieges muß weitergehen. Er war das Mittel zur Auseinandersetzung in früheren Jahrhunderten, inklusive des zwanzigsten.

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