„Mit erhobenem Haupt bestehen“

■ Hans-Christian Ströbele erklärt Henryk M. Broder, was er in Israel will DOKUMENTATION

Gestern ist eine dreiköpfige Delegation der Grünen zu Gesprächen mit der dortigen Friedensbewegung nach Israel gereist. Christian Ströbele, Sprecher des Parteivorstands, ist der Kopf der Delegation.

Henryk M. Broder: In Ihrem offenen Brief an die israelische Friedenbewegung heißt es, auch Israel würde „unter Verstoß gegen zahlreiche UNO-Beschlüsse Gebiete arabischer Nachbarstaaten besetzt“ halten. Die Besetzung Kuwaits und Israels Präsenz in der Westbank sind für Sie ein und dasselbe. Hier wird doch Unvergleichbares gleichgesetzt.

Hans-Christian Ströbele: Vergleichbar ist, daß Israel Territorien anderer Staaten besetzt hält...

... aber doch aufgrund ganz anderer Umstände. Kuwait hat den Irak nicht bedroht, Israel wurde von seinen Nachbarn bedroht.

Das stimmt, Israel war damals einem Krieg ausgesetzt, hat die Gebiete erobert, hat sie dann behalten. Das ist ein wichtiger Unterschied zum Irak. Trotzdem ist das Unrecht, in den Gebieten eine Besatzungspolitik zu machen, vom Grundsatz her ein ähnliches Unrecht wie die Besetzung Kuwaits. Wir dürfen auch nicht vergessen, daß Israel seit Jahren eine Politik betreibt, die wir nicht gutheißen können. Die irakische Raketenangriffe sind die logische, fast zwingende Konsequenz der Politik Israels.

Also ist Israel selber schuld, wenn es jetzt mit Raketen beschossen wird?

Das ist die Konsequenz der israelischen Politik den Palästinensern und den arabischen Staaten gegenüber, auch dem Irak gegenüber.

Sie finden es also richtig, daß Israel jetzt beschossen wird?

Nein, nicht jede Konsequenz muß von mir gebilligt werden. Ich stelle einfach fest, Israel hat eine Politik betrieben, die das zur Folge hatte, und das war vorhersehbar.

Sind Sie gegen die Lieferung von Patriot-Raketen an Israel?

Ja. Weil alle Waffen, auch die Patriot-Raketen, nicht reine Abwehrwaffen sind. Es gibt keine Waffe, die eine reine Abwehrwaffe wäre.

Sind Sie sich der Situation bewußt, in der sich Israel befindet? Das Land wird täglich vom Irak bedroht und Sie räsonnieren darüber, ob die Patriot eine reine Abwehrwaffe ist oder nicht.

Wenn ich Israel heute die Patriot liefere, dann können die Raketen bei der nächsten kriegerischen Auseinandersetzung als Angriffswaffen oder im Zuge eines Angriffs benutzt werden. Gerade für ein Land wie Israel, das so verletzlich ist, kann es nur ein Schutz sein, daß es sich radikal für Frieden einsetzt. Israel sollte jetzt einen Appell an Präsident Bush richten: „Hör mit diesem Krieg auf!“, einem solchen Appell könnte sich Bush nicht verweigern.

Wollen Sie damit sagen, der Krieg wird deswegen fortgesetzt, weil Israel nicht auf sein Ende drängt?

Weil auch Israel nicht auf sein Ende drängt. Weil eine ganze Reihe von Regierungen, darunter auch die deutsche und die israelische, nicht auf ein Ende drängen.

Ich muß Sie troztdem noch einmal daran erinnern, daß die Patriot- Raketen dazu dienen, die israelische Zivilbevölkerung vor irakische Raketenangriffen zu schützen.

Mit diesen Abwehrwaffen ist der Erfolg, den ich herbeiführen will, nicht zu erreichen.

Kurzfristig schon.

Kurzfristig nur zum Teil, mittelfristig nicht und langfristig führen sie nur zu einer zusätzlichen Eskalation. Wir sind nicht gegen andere Mittel, mit denen sich die Israelis gegen einen Gasangriff schützen können, damit haben wir keine Probleme, wir sind nur gegen Waffenlieferungen.

Würden Sie mir auch kein Messer verkaufen, weil ich damit nicht nur Brot schneiden, sondern auch meine Mutter erstechen könnte?

Wenn Sie schon mal versucht hätten, Ihre Mutter umzubringen, dann wäre ich auch sehr vorsichtig, Ihnen ein Messer in die Hand zu geben. Und Israel hat zwar nicht versucht, seine Mutter umzbringen, es hat aber versucht, andere Staaten mit Kriegshandlungen zu überziehen, den Libnon zum Beispiel.

Der Libanon-Krieg wäre besser unterblieben, aber ganz unprovoziert war er nicht.

Da ist Israel zwar provoziert worden, es sind auch ein paar Raketen geflogen, die so großen Schaden aber nicht angerichtet haben ...

... in Ihrem Berliner Büro sicher nicht.

Gut, richtig. Daraufhin hat Israel einen Krieg begonnen, bei dem Tausende von Menschen umgekommen sind.

In Ihrem offenen Brief an die israelische Friedensbewegung schreiben Sie: „Wir bejahen auch das Recht auf Notwehr und Selbstverteidigung gegen Angriffe von außen.“ In der Praxis billigen Sie das Recht auf Selbstverteidigung den Palästinensern zu, von Israel erwarten Sie, daß es nicht zurückschlägt, wenn es angegrifen wird. Warum dieser Doppelmaßstab?

Wenn ein Volk, wie die Palästinenser in den besetzten Gebieten, schlimmen Repressalien ausgesetzt ist, keine Rechte hat, dann darf es sich dagegen wehren. Ebenso befürworte ich ein Selbstverteidigungsrecht für Israel. Die Frage ist nur, wie weit es gehen soll, gehen darf, ob es in einem Krieg eintreten darf. Das hängt unter anderm auch davon ab, welche Politik dahin geführt hat, in welchem Maße fsalsche Politik zu einer Bedrohung beigetragen hat.

Bei Vergewaltigungsprozessesn wird auch im Leben der vergewaltigten Frau herumgewühlt, wird gefragt, inwieweit sie durch ihr Verhalten den Täter provoziert, also die Tat „mitverschuldet“ hat.

Das ist etwas Anderes. Es gibt im Recht den Begriff den Begriff der „provozierten Notwehr“, also wenn ich jemanden reize, indem ich ihm Rechte wegnehme, indem ich ihn bedränge, schlecht behandle und dadurch zu einem Angriff veranlasse, dann sind meine Notwehrrechte sehr viel geringer, als wenn er mich einfach aus heiterem Himmel überfällt. Auch bei der normalen Notwehr zwischen zwei Menschen spielt die Vorgeschichte eine Rolle. Genauso ist da zwischen zwei Staaten.

Natürlich braucht sich Israel nicht gefallen zu lassen, etwa vernichtet zu werden, ins Meer getrieben zu werden, das ist klar. Aber es muß berücksichtigen, daß es zu der jetzigen Situation dadurch seine eigene Politik beigetragen hat. Deshalb kann das Notwehrmittel, das Israel jetzt einsetzen darf, nur sein, auf einen Waffenstillstand zu drängen.

Ihr Besuch in Israel ist nicht unbedingt eine Demonstration der Solidarität.

Wir haben uns lange überlegt, ob wir diesen Besuch machen, weil es mit sehr unangenehm ist, im Fernsehen zu sehen, wie Politiker aus der Bunderepublik dahin fahren, in einer Art Bußfahrt einen großen Scheck abgegen und dann meinen, damit hätte man etwas Sinnvolles erreicht. Das sind dieselben Leute, die diese Waffen zugelassen oder durch ihre Politik mitgeholfen haben, daß Saddam Hussein jetzt diese Waffen hat. Das finde ich peinlich, zynisch und verlogen.

Wir haben uns lange überlegt, ob wir nach Israel fahren sollen. Wir fahren dort mit einem andren Vorsatz hin. Wir wollen versuchen, dort unsere Argumente an den Argumenten der israelischen Gesprächspartner zu messen, etwa in der Diskussion mit der israelischen Friedensbewegung. Wir wollen uns anhören, was die sagen, wie die das begründen, wie sie das hinkriegen, daß sie sagen: „Wir sind noch vor ein paar Monaten auf die Straße gegangen für Frieden, für die Anerkennung der Rechte der Palästinenser, für einen palästinensichen Staat, jetzt ist das alles weg...“ Das wollen wir von ihnen erklärt haben. Genauso wollen wir versuchen, unsere Position zu erklären, weil wir denken, wir haben eine Legitimation, in dieser Diskussion mit erhobenem Haupt zu bestehen. Wir haben versucht, Israel vor deutschen Raketen und vor deutschem Gas zu schützen. Ich werde mich da nicht hinstellen, wie andere deutsche Politiker, und Tränen weinen und so tun, als wenn ich der Bedrohung ausgesetzt wäre.

Was haben Sie gedacht, als Sie von Saddam Husseins Ankündigung lasen, er werde Israel so vernichten, daß nicht mal ein Grab übrig bleibt?

Ich habe das für eine ganz schlimme Großsprecherei gehalten. Nicht, daß ich daran zweifle, daß Saddam Hussein zu vielem, möglicherweise auch dazu fähig wäre, wenn man ihm da völlig freie Hand ließe, aber ich hoffe, daß er keine Realisierungschance hat, wegen der gesamten Situation dort, wegen des Kräfteverhältnisses zwischen ihm und Israel.

Aber Sie haben der Grünen-Abgeordneten Vera Wollenberger nicht widersprochen, als sie erklärte, man dürfe keine Waffen nach Israel liefern, das würde „die Stimmung in den arabischen Ländern nur weiter verbittern“.

Da teile ich das Argument, daß diese Waffenlieferungen an Israel weiter dazu beitragen, die Spannungen zu steigern und die tatsächliche oder vermeintliche Bedrohung der arabischen Bevölkerung, die von Israel ausgeht, zu erhöhen.

Es gibt Leute in der Bunderepublik, die der Fridensbewegung vorwerfen, sie wolle einen Frieden um jeden Preis, vor allem, wenn ihn andere bezahlen müssen.

Nein, es geht nicht um Frieden um jeden Preis, es geht darum, mit dem Schrecklichen dort aufzuhören, weil man weiß, daß es immer mehr eskaliert. Die einen fürchten die ökologischen Folgen, die anderen den Dritten Weltkrieg, viele haben irrationlae Ängste, was alles passieren kann... Was mir Angst macht, das ist die Reaktion vieler Intellektueller auf diese Ereignisse. Ich sehe da ein Versagen vieler Intelektueller in Deutschland, wie das schon bei anderen Gelegenheiten war, etwa beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs oder bei anderen Umbruchsituationen, wo plötzlich das Gemeinsame betont wurde. Wir haben in der Schule über Gedichte und Erzählungen einer ganzen Reihe deutscher Schriftsteller den Kopf geschüttelt, die so etwas schreiben, für den Krieg sein konnten, Ernst Jünger zum Beispiel. Ich konnte das nicht verstehen und ich stelle heute, wenn auch in anderer Form, etwas Ähnliches fest, wenn ich mir die Zeitungen und die Fernsehprogramme angucke, dann sehe ich, daß viele deutsche Intellektuelle da wieder anfällig geworden sind.

Sie meinen, Biermann und Enzensberger seien die Jünger von heute?

Das wäre vielleicht sehr böse, aber so in der Richtung meine ich es. Und Heryk Broder.

Das Gespräch fand am 16. Februar in Berlin statt.