Schiffbauer und Metaller gehen auf die Straße

■ Protestversammlung in Boizenburg/ Besetzung bei EPW-Neuruppin/ Schiffbauer von Rostock bis Wismar, Metaller in Sachsen: Für die Metallindustrie war gestern ein Tag des Protestes gegen drohende Arbeitslosigkeit und für 65 Prozent des West-Lohnes

Schwerin/Chemnitz. Punkt 9.00 Uhr rief die Werkssirene die 1.200 Boizenburger Werftarbeiter gestern zur Kundgebung der IG Metall gegen das Sterben der größten Binnenwerft in der Ex-DDR. Es war die erste von zahlreichen Veranstaltungen am Aktionstag der Gewerkschaften, die auf die Misere im Schiffbau, aber auch in der Land- und Ernährungswirtschaft von Mecklenburg-Vorpommern aufmerksam machen. In der Kleinstadt an der Elbe wäre vom Aus der Werft jede zweite Familie betroffen. Viele Bürger finden nur als Pendler in Orten benachbarter alter Bundesländer neue Arbeit, denn auch das strukturbestimmende Boizenburger Fliesenwerk muß Arbeitsplätze abbauen. So solidarisierten sich am Aktionstag nicht nur Beschäftigte dieses Betriebes mit den Werftarbeitern, auch die des Fleischkombinats und des Kindergartens gingen auf die Straße. Insgesamt nahmen rund 2.000 an der Kundgebung vor dem Werfttor teil.

„Unsere wichtigste Forderung heute ist es, hier Arbeit zu haben, um hier leben zu können“, so Hans- Heinrich Bresch von der IG Metall. „Die Spezifik Boizenburgs liegt darin, daß hier seit 1973 nur Binnenfahrgastschiffe für die Sowjetunion gebaut werden.“

Die Neuruppiner Elektro-Physikalische-Werke AG (EPW) ist seit Dienstag von der Belegschaft besetzt. Damit wehren sich die 2.480 Metaller gegen ihre drohende Entlassung zum 30.Juni. Um den drohenden Konkurs zu vermeiden, wird jedoch weitergearbeitet. Mit der Aktion fordert die Belegschaft zugleich die Gründung einer Qualifizierungsgesellschaft. Den Arbeitern „ist klar, daß das Werk in dieser Struktur nicht zu halten ist. Wir fordern aber praktikable Lösungen, um den Menschen eine Perspektive zu bieten.“

In ganz Mecklenburg-Vorpommern gingen gestern die Arbeitnehmer der Schiffbauindustrie auf die Straße, um für den Erhalt ihrer Branche zu demonstrieren. Mit diesem Aktionstag geht es ihnen nicht um den Erhalt der Werften schlechthin, sondern um die insgesamt sehr stark maritim geprägte Wirtschaftsperspektive des nordöstlichen Bundeslandes. Ihrer Forderung nach einem von Bundes- und Landesregierung unterstützten Sanierungskonzept wollen daher die Schiffbauer von Rostock, Warnemünde, Stralsund und Wismar gemeinsam mit ihren Zulieferern, beispielsweise aus Schwerin, Ückermünde, Demmin und Neustrelitz, Ausdruck verleihen.

Der Vorstand der Deutschen Maschinen- und Schiffbau AG (DMS) wird am Freitag bei der Treuhand in Berlin ein Programm zur Rettung der Schiffbaustandorte Rostock, Wismar und Stralsund vorlegen und entsprechende Unterstützung erwirken.

Auch in Sachsen waren Tausende Metaller von ihrer Gewerkschaft aufgerufen worden, für den Erhalt der Industriestruktur, der Arbeitsplätze und Ausbildungswerkstätten, die Streichung der Altschulden, eine zügige Arbeit der Treuhand und gegen einen billigen Ausverkauf der ostdeutschen Betriebe auf die Straße zu gehen. „Die Sachsen müssen endlich anfangen, sich gegen die Willkür der Treuhand und profitsüchtiger Wessis zu wehren“, charakterisierte Sieghard Bender, derzeitiger Geschäftsführer der IG Metall Chemnitz, den Grundgedanken der Kundgebung, die vor dem Chemnitzer Arbeitsamt stattfinden sollte.

Mit dem 1.Juli 1991 laufen die Tarifverträge und damit der Kündigungsschutz für 40.000 Metaller der Städte Chemnitz, Stollberg und Rochlitz aus. In Dessau begann gestern die 4. Runde der 91er Tarifverhandlungen für die Metallindustrie in Sachsen-Anhalt. Wie Claus Matecki von der IG Metall Magdeburg sagte, könne man gar nicht von Verhandlungen reden, da die Arbeitgeberseite immer noch kein Angebot vorgelegt habe.

Unzufrieden hat sich die IG-Metall über die siebente Runde der Tarifverhandlungen für die 70.000 Beschäftigten der Metall- und Elektro- Industrie von Mecklenburg-Vorpommern geäußert. Die IG Metall fordert für die rund 230.000 Beschäftigten dieser Branche in Sachsen-Anhalt eine Anhebung der Löhne und Gehälter auf 65 Prozent des niedersächsischen Niveaus.

Tausende Beschäftigte der Mansfeld AG, der Walzwerk Hettstedt AG und des Hettstedter Kraftverkehrs waren am Dienstag in Hettstedt dem Aufruf von Gewerkschaften und Betriebsräten zu einer Kundgebung gegen das drohende Aus des Mansfelder Industriegebietes gefolgt. Spekulationen der letzten Wochen um die mögliche Schließung der Kupfer- Silber-Hütte, die das Aus für knapp 2.000 Beschäftigte der Mansfeld AG bedeuten würde, hatten das Faß zum Überlaufen gebracht. Insgesamt 3.000 Bergleute und 800 Hüttenwerker wurden bereits entlassen, die Beschäftigtenzahl der Mansfeld AG droht von einst 20.000 auf 13.000 zu schrumpfen. adn