Brasilien: Massenentlassungen bei VW und Ford

Bei Autolatina sollen 15 Prozent der Belegschaft gehen/ 15.000 erboste Beschäftigte auf der Autobahn nach Santos  ■ Aus Sao Paulo Astrid Prange

Rezession total: Die Wirtschaftsleistung Brasiliens schrumpfte im vergangenen Jahr um rund vier Prozent, und im Großraum Sao Paulo, dem Wirtschaftszentrum des Landes, wurden in den letzten zwölf Monaten über 280.000 IndustriearbeiterInnen entlassen. Nun hat sich auch Autolatina, die Holding der beiden Autohersteller Volkswagen und Ford, der Kündigungseuphorie angeschlossen. 5.110 ArbeiterInnen werden entlassen. Die Entscheidung, den Stamm der 52.000 Autolatina-Beschäftigten um 15 Prozent zu verkleinern, war von der Geschäftsleitung bereits am Wochenende getroffen worden. Außerdem wurden im Januar 3.000 MitarbeiterInnen in den vorzeitigen Ruhestand geschickt.

Die Ankündigung am Montag nachmittag löste eine Welle von Protesten aus, die seither anhalten. Die Gewerkschaft der Metallarbeiter, die dem Dachverband Central Unica dos Trabalhadores (CUT) angehört, rief in den 7 Betriebsstätten der Holding im Bundesstaat Sao Paulo zum Generalstreik auf. 15.000 aufgebrachte VW- und Ford-ArbeiterInnen blockierten am Dienstag nachmittag die Zufahrt zur Rua Anchieta, der wichtigsten Verkehrsverbindung von Sao Paulo zum größten Hafen des Landes, Santos.

„Wir werden die willkürlichen Entlassungen nicht hinnehmen“, drohte Vicente Paulo da Silva, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Metallarbeiter aus Sao Bernado, der größten Produktionsstätte mit knapp 27.000 ArbeiterInnen. Von ihnen stehen 1.800 auf der Kündigungsliste. Sein Amtsvorgänger Luis Inacio Lula da Silva, ehemaliger Präsidentschaftskandidat, peitscht ebenfalls auf die Kumpels im Stau ein: „Die Firma muß die Entlassungen rechtfertigen.“ Sogar die mächtige Unternehmervereinigung des Bundesstaates Sao Paulo, Fiesp, räumte nach der Ankündigung der Autolatina-Massenentlassungen ein, daß die sozialen Spannungen zur Zeit „immens“ seien. Allein im Vormonat Januar standen im Großraum Sao Paulo 68.772 Arbeitslose mehr auf der Straße, mehr als im ganzen Jahr 1982 gefeuert wurden. Laut Fiesp-Statistik ist das Wachstum der Industrie im Bundesstaat Sao Paulo gegenüber der Vermehrung der Bevölkerung um 56 Prozent im Rückstand.

Gewerkschafter Vicente Paulo bezweifelt trotz der Rezession die wirtschaftliche Notwendigkeit der Massenentlassungen. Dies sei einmal mehr ein abgekartetes Spiel der Firma, um Druck auf die Regierung auszuüben. Auch sein Stellvertreter Antonio Flores äußerst den Verdacht, daß „die Firma beim Kräftemessen mit der Regierung in Brasilien die Arbeiter mißbraucht“.

Ungewöhnlicherweise haben die Gewerkschaftler diesmal Wirtschaftsministerin Zélia Cardoso de Mello auf ihrer Seite: In einem Fernsehinterview am Dienstag abend belehrte die ehemalige Professorin der Universität Sao Paulo die brasilianischen Unternehmer, daß sie endlich lernen müßten, ihre Probleme durch kreative Einfälle und nicht durch Massenentlassungen zu lösen.

Das feindliche Klima zwischen der Wirtschaftsministerin und der Autolatina, die 58 Prozent des brasilianischen Pkw-Marktes beherrscht, wurde im Dezember vergangenen Jahres deutlich. Damals zeigte sie sich darüber verärgert, daß die Holding innerhalb von 30 Tagen ihre Autopreise um 50 Prozent erhöhte, während die Inflation des Monats Dezember „nur“ 18 Prozent betrug. Sie kündigte an, die Unternehmensgruppe wegen „wirtschaftlichen Mißbrauchs“ zu verklagen. Bis jetzt waren diese Anstrengungen jedoch nicht von einem offensichtlichen Erfolg gekrönt.

Die Führungsspitze von Autolatina bringen weder die Ratschläge der Ministerin noch die Drohung des Generalstreiks aus der Ruhe. Nach Angaben von Autolatina-Direktor Domicio dos Santos Junior soll die Produktion zum Teil auf 50 Prozent heruntergefahren werden, weil auf den Fabrikhöfen noch zuviele Neuwagen stehen. „Wir haben einen Vorrat von 25.000 Autos und es sieht nicht so aus, als ob der Absatz im kommenden halben Jahr wieder steigt“, erklärte der Manager gegenüber der Tageszeitung 'Folha de Sao Paulo‘. Deshalb sei auch die Forderung der Gewerkschaft, bei gleichen Löhnen für eine Übergangszeit Kurzschichten zu fahren, nicht machbar. Nach Ansicht des Vorsitzenden der brasilianischen Vereinigung der Volkswagenhändler (Assobrav), Rómulo Monteiro Filho, wird der Verkauf von VW-Autos in den ersten drei Monaten dieses Jahres um 25 Prozent geringer sein als im letzten Quartal 1990.

Im Gegensatz zur Autolatina sind bei den beiden anderen multinationalen Autoherstellern Fiat und General Motors keine Entlassungen vorgesehen. Die US-Firma hofft auf einen Aufschwung im März, während der italienische Magnat auf sein großangelegtes Exportprogramm setzt.