Parlament rehabilitiert Blockierer

■ Deutsche Justiz kassiert vom Europaparlament schallende Ohrfeige in Sachen Blockadeprozesse

Straßburg (taz) — Das europäische Parlament in Straßburg hat am Montag verurteilte TeilnehmerInnen von Friedensblockaden indirekt rehabiliert und die bundesdeutsche Justiz hart attackiert.

Zur Debatte stand das Ansinnen des Trierer Landgerichts, die parlamentarische Immunität der saarländischen Grünen-Europaabgeordneten Hiltrud Breyer aufzuheben und sie so einer Strafverfolgung des Landgerichts auszusetzen. Breyer hatte gemeinsam mit 200 anderen Friedensbewegten im September 1983 an einer 20minütigen Blockade der US-Airbase Bitburg (Eifel) teilgenommen und war deshalb in erster Instanz vom Bitburger Amtsgericht wegen „gemeinschaftlicher Nötigung“ (§240 StGB) zu 600 Mark Geldstrafe verurteilt worden.

Das Revisionsverfahren vor dem Trierer Landgericht ließ Breyer — inzwischen ins Europaparlament gewählt — unter Verweis auf ihre Immunität als Abgeordnete platzen. Weil die knochensturen Trierer Landrichter dennoch nicht locker lassen wollten und die Aufhebung der Immunität beantragten, bekam die bundesdeutsche Justiz am Montag abend eine in dieser Härte bislang wohl beispiellose Nachhilfestunde in Sachen innerstaatlicher Demokratie. Der belgische Liberale Jean Defraigne geißelte das Ansinnen der „repressiven Behörden“ als Verstoß gegen Artikel 6 der Internationalen Menschenrechtskonvention und gegen die Grundregeln, „für die sich dieses Parlament stets in aller Welt einsetzt“, das Recht auf freie Meinungsäußerung. „Es ist lächerlich, dem EP einen Antrag auf Aufhebung der Immunität vorzulegen für einen Fall, der acht Jahre her ist“ und 20 Minuten gedauert habe, ohne irgendeinen Schaden angerichtet zu haben, meinte Defraigne. Die sozialistische Fraktion erklärte ihre Solidarität mit den Worten, Breyer habe „damals wie heute gegen einen blödsinnigen Krieg demonstriert“. Unter dem Beifall des Hauses setzte der Sozialist Lyndon Harrison hinzu: „Wir sollten die loben, die so mutig sind, etwas zu tun wie Breyer oder die Studenten auf dem Pekinger Platz des himmlischen Friedens.“ Einzig der Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion plädierte für die Aufhebung der Immunität („600 Mark Strafe hindern nicht an der Wahrnehmung von Grundrechten“). Mit großer Mehrheit — darunter auch den Stimmen des früheren französischen Präsidenten Giscard d'Estaing sowie des belgischen Ex-Premiers Tindemarns — schmetterte das EP den Wunsch der deutschen Justiz ab. Für Hiltrud Breyer ist die große Solidarität der ParlamentskollegInnen ein Schritt auf dem Weg zu einer Generalrehabilitierung der BlockiererInnen. „Jetzt muß es in der BRD eine neue breite Diskussion um die Abschaffung des Nötigungsparagraphen 240 geben“, meint sie. Thomas Krumenacker