Im Osten wächst ein Berg von Mietschulden

■ Viele OstberlinerInnen mögen für ihre »Bruchbude« nicht bezahlen/ Die Tendenz zum Mietschuldnertum ist offenbar steigend/ Die Wohnungsbaugesellschaften haben ein Loch von fünf bis sechs Millionen Mark in ihren Kassen

Berlin. Zehntausende von OstberlinerInnen bezahlen ihre Miete nicht. »Das ist so ein widerliches Wohlstandsdelikt, die sollen ruhig zahlen«, sagt Regine Grabowski, Ostberlinerin und im Vorstand des Berliner Mietervereins. Und: »Die Rentnerinnen mit ihren bißchen Geld haben immer überwiesen, aber viele, die es sich hätten leisten können, nicht.«

Das Volk ist da anderer Meinung. »Warum soll ich für diese Bruchbude Miete blechen? Wegen jeder Reparatur hat man Rennereien und Scherereien mit der Hausverwaltung, nichts funktioniert richtig, und der Standard ist nachkriegsmäßig«, schimpft Martin, ein Student aus Prenzlauer Berg. Da seien fünfzig Mark schon zuviel.

Mietschulden im Ostteil der Stadt waren in SED-Zeiten zwar auch schon verboten, viele MieterInnen aber betrachteten sie als Kavaliersdelikt. Jetzt wird es ernst, denn nach Westgesetzen ist das ein Kündigungsgrund (siehe auch das Interview mit Michael Roggenbrodt vom Berliner Mieterverein).

Knapp 40.000 Mietschuldner für die gut 600.000 Ostberliner Wohnungen zählte der Magistrat letztes Jahr. Genaueres und vor allem Aktuelleres weiß man nicht, denn es war nicht die Stärke der ehemaligen »Kommunalen Wohnungsverwaltung« und jetzigen Wohnungsbaugesellschaften, Statistiken zu führen und einen Überblick über ihren eigenen Bestand zu wahren. Die Tendenz, vermutet man bei den Gesellschaften, sei steigend.

In ganz Ost-Berlin sind etwa 10.000 Verfahren deshalb rechtsanhängig, bei diesen und bei weiteren 12.000 Fällen sind schon mehrere Monate an Mietschulden aufgelaufen. Deswegen haben die Gesellschaften ein Gesamtloch von fünf bis sechs Millionen Mark in ihren Kassen, darunter sind allerdings auch säumige Gewerbemieter. Diese Defizite der — ohnehin überschuldeten — Gesellschaften trägt derzeit der Berliner Senat.

Die Hochburg der Mietverweigerer ist Prenzlauer Berg. »Wir haben schätzungsweise 5.000 Rechtsstreitigkeiten, davon ein Teil wegen Mietschulden, aber das sind oft so geringe Beträge, daß es sich nicht lohnt, das zu forcieren«, meint der Chef der dortigen Wohnungsbaugesellschaft, Klaus Nicklitz.

Aber auch wenn die Gerichtsmühlen bereits mahlen, muß niemand voller Panik die Wohnung verlassen. Der säumige Mieter hat die Möglichkeit, die Schulden nachzuzahlen. In Notfällen helfen die bezirklichen Sozialämter. Wer nicht genug verdient, hat Anspruch auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt, dazu gehört auch die Miete. Ob die Miete aber rückwirkend übernommen wird, ist eine Ermessensfrage der Ämter. »Wir wollen, daß die Sozialämter möglichst großzügig zahlen, schließlich ist Obdachlosigkeit für den Steuersäckel viel teurer«, sagt die Sprecherin von Sozialsenatorin Stahmer, Rita Hermanns.

Bei den Ämtern im Osten ist man geteilter Meinung. »Bei Sozialhilfeempfängern übernehmen wir die Miete, aber wer sich von dem Geld vorher Autos oder Pelzmäntel gekauft hat, denen werden wir was husten«, meint der Marzahner Sozialstadtrat Kühne. Eine Schonfrist haben Ostberlins Mietschuldner auf alle Fälle. Geräumt werden darf ein Mieter nur nach einem Räumungsurteil. Und bis die überlasteten Amtsgerichte dazu kommen, können mindestens Monate, in Einzelfällen Jahre vergehen.

Einen weiteren Zeitaufschub haben die zahlungsunwilligen Ostmieter deshalb, weil es strittig ist, ob alle Wohnungsbaugesellschaften klagen dürfen. Einige Gesellschaften — darunter die von Prenzlauer Berg — sind noch in Gründung, da sie bisher keine DM-Eröffnungsbilanz nachweisen konnten. Und solange sind sie nur eingeschränkt geschäftsfähig. esch