Linke Liste quält sich im PDS-Haus der Hörigkeit

In der westdeutschen Linken Liste wächst der Frust mit der PDS/ Kurswechsel ist bei der PDS-Führung angesagt: Ende der Selbstfindung und offener Bündnisse/ Traditionalisten sind auf dem Vormarsch/ Befürchtet wird ein „DKP-Revival-Verein“/ Auflösung der Linken Liste in West-Berlin  ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski

Für Jürgen Reents, ehemals Mitglied des Bundesvorstands der Grünen und einer der Initiatoren der Linken Liste, ist das Kapitel abgehakt. Es sei absolut nicht möglich gewesen, die PDS zu benutzen, um die Linke in Deutschland wieder aufzubauen, begründet er seinen jetzigen Rückzug. Reents führt dafür nicht nur das katastrophale Wahlergebnis bei der Bundestagswahl ins Feld, sondern vor allem das Wiedererstarken des konservativen Denkens in der PDS. Damit aber habe weder die PDS eine Zukunftschance noch er Interesse an einem „DKP-Revival-Verein“.

Reents steht nicht allein. Aus diversen Städten ist vom Rückzug der Aktivisten der Linken Liste zu hören. „Die Stimmung ist nicht gut“, bestätigt Harald Wolf, einst im Landesvorstand der Berliner Alternativen Liste und jetzt für die PDS im Abgeordnetenhaus.

Der Parteitag der PDS Ende Januar hat den Frust bei den AktivistInnen der Linken Liste noch vergrößert. Die Konflikte — im vergangenen Jahr durch das monatelange Gerangel um das Wahlrecht und der Suche nach einer gemeinsamen Rechtskonstruktion mit der PDS hintangestellt — brechen jetzt auf. Ein Teil der zumeist aus dem grün-alternativen Bereich stammenden Westlinken fühlt sich überfahren und benutzt; bei den ostdeutschen PDSlern wächst der Unmut über die Wessis, die viel reden, aber nichts auf die Beine stellen.

Das Wahlergebnis im Westen, als man trotz aufwendigem Wahlkampf nur 0,2 Prozent der Stimmen einfuhr, wirkte in der Berliner PDS- Parteizentrale offensichtlich als Signal für einen Kurswechsel. Immer mehr zeichnet sich ab, daß die PDS in den Westbundesländern nun selbst die Zügel in die Hand nehmen will. Der bunte Haufen Linke Liste kommt auch anderweitig ziemlich unter Druck: Die Konkurrenz der PDS-Initiativen, die sich aus dem orthodoxen Teil der DKP rekrutieren, gewinnt an Gewicht. Bei der ungebundenden Westlinken jedenfalls hat das Interesse an der Gruppierung deutlich abgenommen.

Bereits eine Woche vor dem PDS- Parteitag Ende Januar war der Unmut auf dem Treffen der westdeutschen Linken Liste in Bonn überdeutlich. Mit bitteren Worten verabschiedete sich eine Kölner Aktivistin von der Mitarbeit. Der Sachzwang habe gesiegt, statt gleichberechtigter Zusammenarbeit und offener Strukturen sei lediglich der Zusatz Linke Liste angehängt worden, und Debatten über die politischen Ziele seien Mangelware geblieben. „Bündnispolitik darf kein Durchlauferhitzer für die PDS sein“, beschwor ein anderer Diskussionsteilnehmer. Ein westlicher Bündnispartner fragte gar in bester politischer Prosa, ob die PDS sich als „Dach der Versammlungshalle oder Gebäude der Hörigkeit“ verstehe.

In einem schriftlichen „Notruf“ der Linken Liste an das PDS-Präsidium, unmittelbar vor dem Parteitag geschrieben, wurde vom drohenden „Wegbrechen der schmalen Basis im Westen“ gewarnt und mehr Unterstützung für den Sonderweg der westdeutschen Partner eingeklagt. Das Wahlergebnis habe einem „dogmatischeren Politik- und Parteiverständnis Auftrieb gegeben“, wird dort festgestellt. Unterzeichnet wurde das Papier von sämtlichen MacherInnen der Linken Liste, von den Ex-Grünen Michael Stamm, Ulla Jelpke und Harld Wolf sowie dem DKP-Erneuerer Wolfgang Gehrcke. Man „stehe eine weitere Passivität des Präsidiums (...) nicht durch“. „Gerade die Aktiven, die nicht aus traditionalistischen Strömungen kommen, machen ihre Mitarbeit davon abhängig, welche Signale vom Parteitag ausgehen“, heißt es beschwörend.

Doch die entscheidenden Signale blieben aus. „Es gab wenig Resonanz“, gesteht die Hamburgerin Ulla Jelpke, die jetzt für die PDS im Bundestag sitzt. Zwar sind die Westler im siebzigköpfigen PDS-Vorstand mit einundzwanzig Personen überproportional vertreten — in der alten Bundesrepublik hat die Linke Liste schließlich nur rund 400, die PDS aber über 200.000 Mitglieder. Doch bei der Wahl für den Posten einer stellvertretenden Parteivorsitzenden, den die WestlerInnen beanspruchten, erlitten sie eine schroffe Abfuhr.

Den neuen Kurs der PDS formuliert der auf dem Parteitag zum Bundesgeschäftsführer gewählte Westdeutsche Wolfgang Gehrcke: Der Selbstfindungsprozeß der PDS müsse beendet werden. Dem bisherigen Ansatz, ein möglichst breites Bündnis im Westen aufzubauen, erteilt er eine klare Absage. Es sei eine „Illusion“ zu glauben, Ausstrahlung entstehe alleine durch ein breites Spektrum, sagt Gehrcke. Den von ihm mitformulierten Bittbrief stuft er inzwischen als „verfehlt“ ein. Die PDS müsse klare Positionen „vorgeben und sich nicht durchwursteln“. Die PDS werde vielmehr erst dann zur Alternative, wenn sie ein eigenes Profil habe — dann könne man auch wieder über Bündnisse reden.

Bitter registriert wird im Westen, daß die Genossen aus der ehemaligen DDR nicht bereit waren, das miserable Wahlergebnis im Westen auch als ihre Niederlage anzusehen, sondern dies allein den Wessis anlasten. „Grundfalsch“, nennt es Harald Wolf, auf offene Bündisse zu verzichten und wieder auf ein konservatives Klassenkampf-Weltbild zurückzugreifen. Schwarze Löcher ortet Wolf insbesondere bei der Ökologie und dem Feminismus. Der PDS-Parteitag habe es nicht vermocht, die verschiedenen Konzepte deutlich zu artikulieren und Konflikte damit „austragbar und entscheidbar zu machen“, bedauert Wolf. Und auf die im Brief an das PDS-Präsidium geäußerte Überzeugung der Westlinken, bei einer „traditionalistischen“ Westausweitung der PDS „verschlechtern sich die Chancen für eine Erneuerung der PDS auch im Osten erheblich“, wird in der PDS-Führung offenbar wenig gegeben.

Nun soll wohl der Zusatz Linke Liste ganz verschwinden. Beispielhaft steht dafür sicher die Situation in West-Berlin. Dort hat sich die Linke Liste/PDS bereits am 8. Februar aufgelöst; Ende dieser Woche wird ein ordentlicher PDS-Ortsverband gegründet, bei dem dann auch die Reste der ehemaligen SEW, des Westberliner DKP-Ablegers, mittun werden. Dirk Schneider, ehemals Bundestagsabgeordneter der Grünen und nun im Berliner Abgeordnetenhaus für die PDS, verhehlt seine „gemischte Gefühlslage“ nicht. Viele aus der Westberliner Linken Liste hätten es als „Affront“ empfunden und sich „bitter beschwert“, daß die PDS „klammheimlich“ hinter ihrem Rücken eine eigene Organisation aufbaute. Damit sei für manchen Westgenossen signalisiert worden, wir trauen euch nicht zu, daß ihr was auf die Beine stellt. Dirk Schneider hält die neue Organisationsform inzwischen aber für notwendig. Auch in Nordrhein-Westfalen ist an der Linken Liste/PDS vorbei bereits ein „Arbeitskreis PDS-Landesverband“ gegründet worden — mit Billigung der PDS-Spitze, wie im Nordrhein- Westfalen-Büro der Linken Liste bestätigt wird.

Die Hoffnung, zu einer gemeinsamen Politik zu finden, will die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke dennoch nicht aufgeben, auch wenn sie den Kurswechsel in der PDS-Führung für falsch hält. Die „einzige Chance der PDS im Westen ist, bündnisfähig zu werden“ und sich über offene Listen auch politisch zu öffnen. Eine straffe Parteiführung sei im Westen „kontraproduktiv“. Frau Jelpke hält deshalb eine „Polarisierung“ für „wünschenswert“, um Positionen zu klären.

Diese Hoffnung teilt Jürgen Reents eben nicht mehr. Am Schluß, so ist er überzeugt, blieben nur noch jene von der DKP übrig, die an schlechte Wahlergebnisse schon seit langem gewohnt seien.