Prinzip Hoffnung ist Rocards Maxime

Der Golfkrieg läßt die Franzosen ihren Konsum reduzieren und die Rezession verschärfen  ■ Aus Paris A. Smoltczyk

Börse gut, alles gut — so steht es im Handbuch des Kurzsichtigen. Also kein Grund zur Panik, denn Frankreichs Börse, die hierzulande für ebenso unfehlbar gilt wie der Papst, hat den Kriegsausbruch zur Kenntnis genommen, ohne mit der Wimper zu zucken, und plustert ihre Kurse seit vier Wochen in einer stetigen Hausse auf: plus sieben Prozent seit der ersten Laserbombe.

So schlecht scheint die Makro- Lage nicht zu sein. Die Inflation lag 1990 bei 3,4 Prozent, die Zahlungsbilanz zeigte (wenn man den Effekt der Ölverteuerung abzieht) sechs Milliarden Francs weniger Defizit als im Jahr zuvor. Schlecht jedoch sind die Erwartungen, windige Größen mit sehr realen Effekten: „Die psychologischen Konsequenzen des Krieges sind die gefährlichsten“, meinte Premierminister Rocard letzte Woche. Sein Wort in Gottes Ohr — das Wort „Rezession“ ist für die Statistiker längst vom Menetekel zur Realitätsbeschreibung geworden (siehe nebenstehender Kasten).

Die unmittelbaren Effekte des Krieges sind weitgestreut wie eine Splitterbombe. Wachschutzfirmen arbeiten jenseits der Kapazitätsgrenze, umgekehrt melden Gastronomie und Tourismus teilweise katastrophale Umsatzrückgänge. Indirekt betroffen sind auch die Medien. Die Anzeigenkunden starten keine neuen Werbefeldzüge, solange der Feldzug am Golf nicht zu Ende ist. Seit dem 16. Januar schaltet beispielsweise „Marlboro“ keine Anzeigen mehr in Blättern, die vom Krieg berichten: Das schadet dem Markenimage.

Die paar Panikkäufe von Öl und Zucker ändern nichts an der Feststellung, daß die Haushalte nicht mehr so konsumieren wie sie sollten. Immobilien in Paris finden ohne Rabatt von 10 oder 15 Prozent keine Käufer mehr. Die Autohersteller haben sogar Kurzarbeit angemeldet.

Was tun? Eine Abwertung des Franc zur D-Mark, wie es der genobelte Neukeynesianer Edmond Malinvaud vorgeschlagen hatte, lehnt Finanzminister Pierre Bérégovoy ab. Dadurch würde zwar kurzfristig die Wettbewerbsposition der französischen Exporteure gestärkt, aber mittelfristig die Inflation (durch teuere Importe) größer werden. Bérégovoy fährt einen anderen, einen monetär orientierten Kurs. Seine kategorischer Konjunkturimperativ lautet: Halte die Inflation so niedrig, daß die Nominalzinsen hoch genug sind, um ausreichend Kapital ins Land zu locken, die Realzinsen aber niedrig genug bleiben, um Investitionen finanzierbar zu halten. Ein nicht nur in Frankreich beliebtes „trial and error“-Spiel.

Nichts paßt dem Finanzminister deshalb so wenig wie die Hochzinspolitik der Bundesbank, die die Preise für Kredite in ganz Westeuropa verteuert hat. Und wer sein Geld bei den Banken holen muß und nicht beim Staat bekommt, achtet auf jedes halbe Zinsprozent mehr oder weniger.

Rocard lehnt auch jede Stützung der Nachfrage ab, allein aus dem Grund, um nicht durch „politischen Voluntarismus“ den Eindruck aufkommen zu lassen, die Lage sei ernst. „Negative Antizipation“, Vorwegnahme des Schlechten, heißt der Bösewicht, und dem gilt es gegenzusteuern. So soll das Budgetdefizit trotz der Kriegsausgaben im geplanten Rahmen bleiben. Sechs Milliarden Francs wird Frankreich der Einsatz am Golf mindestens kosten, Bérégovoy sprach sogar von 12 Milliarden, die einzusparen seien.

Das heißt konkret, daß jedem Ministerium der Etat um fünf Prozent zusammengestrichen wird. Denn zu den direkten Kriegskosten muß, so der Minister, der Einnahmeausfall an Steuern infolge des ausbleibenden Konsums addiert werden. Eine höhere Verschuldung des Staates als „automatischen Stabilisator“ angesichts der Rezession, wie neoklassische Keynesianer es empfehlen würden, lehnt Rocard ab, um die Zinsen nicht weiter hochzutreiben. Eine „Golfsteuer“ wurde diese Woche zum Tabuwort erklärt.

Um die empfindliche Psychologie der Unternehmer zu schonen, soll auch 1991 die Unternehmenssteuer um drei Prozent gesenkt werden. Mehr sei nicht drin, meinte Rocard und appellierte statt dessen an den ökonomischen Kampfgeist der Patrons: „1991 müssen alle unsere Firmenchefs jeden Tag von dem Gedanken besessen sein, ihre Verkäufe jenseits des Rheins zu steigern.“ In der Ökonomie bleibt alles beim Alten: Der Feind steht im Osten.