Ein albanischer Mythos

■ Staatsbegründer Hoxha war den Gegnern der Unab- hängigkeit Albaniens gegenüber stets unbeugsam

Tyrannen vom Sockel zu stoßen, ist ein schönes Ritual europäischer Revolutionsgeschichte — eine symbolische Aktion der Selbstvergewisserung, die nachholt, was zu Lebzeiten des Herrschers unmöglich, unvorstellbar war. Als Hoxhas Statue fiel, stürzte mit ihr eine autistische Vorstellung des Sozialismus, derzufolge Albanien, ganz auf sich selbst gestellt, abgetrennt von der Nachkriegsentwicklung der europäischen Nationen, seinen Weg in die klassenlose Gesellschaft finden sollte. Die Isolation Albaniens war teilweise aufgezwungen. Sie entsprach aber dem Ideal einer kargen, egalitären, gegenüber allen inneren wie äußeren Feinden unversöhnlichen Lebensweise — dem Kommunismus Enver Hoxhas.

Hoxhas Herrschaft war durch einen exzessiven, alle Lebensbereiche kontrollierenden Polizeistaat gesichert, der in seiner Grausamkeit nur mit dem Sowjetstaat der 30er Jahre vergleichbar war. Terror und Massenmobilisierung machten seine Dynamik aus. Und dennoch: Es war nicht Furcht allein, die Hoxhas Stellung unangreifbar machte. Schon zu Lebzeiten war er eine mythologische Figur des albanischen Unabhängigkeitskampfes, unbeugsam gegenüber jedermann, der sein Land in fremde Abhängigkeit bringen wollte — vor allem in die des mächtigen nördlichen Nachbarn. Hoxha scheute sich nicht, mit Chrustschow zu brechen, als dieser eine Annäherung Albaniens an Jugoslawien empfahl. Auch der Konflikt mit China hatte seine Wurzel in der Aussöhnung der chinesischen Kommunisten mit dem jugoslawischen „Revisionismus“. Beide Auseinandersetzungen, die der Dichter Ismail Kadare in eindrucksvollen Dokumentationen festgehalten hat, zeigten Hoxha vor allem als Verteidiger der albanischen Unabhängigkeit. Hier hatte auch seine Verehrung für Stalin Grenzen. Die Äußerungen des großen Führers und Lehrers zur Überflüssigkeit eines selbstständigen Albaniens wurden zu Erfindungen der Konterrevolution erklärt.

Hoxhas Sozialismus hat den Menschen zu einer sehr bescheidenen, aber gesicherten Existenz verholfen. Aber der Kurs des „Vertrauens auf die eigene Kraft“ führte auch in die Wirtschaftskrise, die seine Nachfolger nicht meistern können. Indem sie die Isolation Albaniens beendeten, untergruben sie die Fundamente, die Hoxha gelegt hatte. Die Albaner wollen — alle Anzeichen sprechen dafür — die Öffnung nach dem Westen. Sie wollen aber auch, daß ihr Land unabhängig bleibt. Hoxhas Denkmal stürzt, aber der Türkenbezwinger Skanderbeg bleibt auf seinem Platz. Christian Semler