Kein Pflegegeld bei Sozialhilfe

SozialhilfeempfängerInnen gucken beim Krankenkassen-Pflegegeld in die Röhre/ Neue Leistungen werden von Sozialhilfe abgezogen/ Unterschiedliche Praxis in nordrhein-westfälischen Städten  ■ Von Bettina Markmeyer

Bochum (taz) — Für SozialhilfeempfängerInnen bringt das Pflegegeld, das die Krankenkassen im Rahmen der Gesundheitsreform seit Beginn dieses Jahres auszahlen, keine Verbesserungen. Der sozialpolitische Sprecher der nordrhein-westfälischen Grünen, Daniel Kreutz, bezeichnete die neue Pflegegeldregelung deshalb als „Propagandaschwindel“ der Bundesregierung und forderte die Landesregierung in Düsseldorf auf, durch entsprechende Empfehlungen die derzeitige Praxis kommunaler Sozialämter zu stoppen.

Seit dem 1. Januar bewilligen die Krankenkassen pflegebedürftigen Menschen unter bestimmten, den Empfängerkreis stark einschränkenden Bedingungen häusliche Pflegehilfe. Das sind bis zu 25 einstündige Einsätze entsprechender Pflegedienste als „Sachleistungen“ oder 400 DM monatlich für die betreuenden Angehörigen.

Beantragen können die Sach- oder Geldleistungen alle Schwerpflegebedürftigen unabhängig von ihrem Einkommen. Behinderten, kranken und alten Menschen jedoch, die wegen ihrer Pflegebedürftigkeit bereits Sozialhilfe bekommen und Pflegegeld nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) beziehen, werden die neuen Leistungen der Krankenkassen von diesem Pflegegeld abgezogen. Eine „Mogelpackung“, konstatieren die nordrhein-westfälischen Grünen, denn den Betroffenen sei das Pflegegeld der Krankenkassen „im Rahmen der Gesundheitsreform als zusätzliche Leistung versprochen worden“.

Städte und Gemeinden, die die Sozialhilfe bezahlen müssen, sind indessen nicht böse über die neue Regelung. Sie können, wie es Peter Hürholz vom Sozialamt der Stadt Bielefeld formuliert, die Pflegegeldzahlungen auf „einen weiteren Kostenträger“ abwälzen. Im Klartext: Was die Krankenkassen zahlen, sparen die Kommunen in Zukunft ein. Im ostwestfälischen Bielefeld wird, wie beispielsweise auch in den Regierungsbezirken Detmold und Arnsberg, das Pflegegeld der Krankenkassen voll auf das Pflegegeld für SozialhilfeempfängerInnen angerechnet. Diese bekommen keinen Pfennig mehr als vorher.

Daß diese Praxis aber auch unter den Behörden nicht unumstritten ist, zeigen bisherige Erfahrungen aus Düsseldorf, Köln, Dortmund oder Münster. Dort wird das neue Pflegegeld der Krankenkassen nur zur Hälfte auf die Pflegeleistungen im Rahmen der Sozialhilfe angerechnet, so daß, wie Birgit Edler von den Ambulanten Diensten in Münster bestätigt, „auch Pflegebedürftige mit Sozialhilfe im Monat 200 Mark mehr in der Kasse haben können.“ Von Stadt zu Stadt völlig unterschiedlich werde darüberhinaus entschieden, in welcher Höhe die neuen Krankenkassenleistungen anzurechnen seien, wenn SozialhilfeempfängerInnen nicht Geld- sondern Sachleistungen in Anspruch nehmen.

Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge, in dem sowohl die Sozialbehörden als auch alle großen Wohlfahrtsverbände vertreten sind, empfahl im Dezember 1990, das Krankenkassen-Pflegegeld sowohl bei Geld- als auch bei Sachleistungen höchstens zur Hälfte auf Pflegegelder für SozialhilfeempfängerInnen anzurechnen. Damit widersprach der Verein dem damaligen Blüm-Ministerium, das mit entsprechenden Änderungen im BSHG die neuen Krankenkassen-Leistungen in vollem Umfang von der Sozialhilfe abziehen lassen will.

Proteste gegen die Benachteiligung von SozialhilfeempfängerInnen beeindrucken das Ministerium auch heute nicht. „Für die meisten Pflegebedürftigen verbessert sich die Lage, es verschlechtert sich niemand“, erklärt ein Sprecher des (noch zuständigen) Arbeits- und Sozialministeriums. Die Anrechnung des Pflegegeldes auf die Sozialhilfe beträfe „nach unseren Erkenntnissen nur jeden Zehnten“. Daß es viel mehr wären, wenn alle hilfebedürftigen Menschen die Sozialhilfe beantragen würden, die ihnen zustünde, verschweigt der Sprecher.