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Eine Empfehlung vom Kreml

■ Dimitrij Vrubel in der Moskauer Galerie Manege und in der Wohnmaschine

Den »Star der Berliner Mauer« nannte man Dmitrij Vrubel nach dem Erfolg seines Bildes mit den sich küssenden Genossen Honecker und Breschnew. Im September hatte er es auf die Mauer gemalt. Jetzt erhielt der junge Moskauer Künstler sogar die Chance, in seiner verschneiten Heimat auszustellen. Die Einladung zur Vernissage mußte auf Moskauer irritierend gewirkt haben, man lud in die sogenannte »Manege«. Die große Ausstellungshalle unweit des Kreml war bisher eine Herberge der offiziösen Repräsentationskunst des sozialistischen Realismus.

Ist es mit der Perestroika wirklich schon so weit gekommen, daß gerade heute, da so vieles wieder an die Ära Breschnew zu erinnern beginnt, eine Wende zur Untergrundkunst möglich wird? Nein. Die Zentrale Moskauer Ausstellungshalle stellte Vrubel nur einen kleinen Raum unter dem Dach einer anderen, neugegründeten Galerie zur Verfügung, die sie kurzerhand auch Manege nannte.

Der Besucher passiert einen bewaffneten Posten, läuft durch riesige Räume an abgehängten Bildern vorbei, klettert eine Eisentreppe hoch, um endlich auf ein drei Meter großes Porträt Leonid Breschnews zu stoßen. Eine rote Inschrift sagt: »Bitte verlassen sie mich nicht«. Der alte Generalsekretär der Kommunistischen Partei, mit der Hand auf der Kehle wie in Atemnot, nach einem Pressephoto gemalt, erweckt Mitleid. Es ist keine Satire. Wohl aber ein Gegensatz zu den offiziellen Porträts, die früher in der »großen« Manege reichlich zu sehen waren.

Natürlich malt Dmitrij Vrubel nicht nur sowjetische Führer. Was ihn interessiert, ist das Phänomen des homo soveticus. Zum Breschnewporträt führen zwei Reihen von »Sowjetmenschen«: Ingenieure und Offiziere und Ärzte, Helden der Arbeit. Sie alle — in Zeitungen entdeckt — wurden auf riesige Leinwände übertragen. Dem Grundstein der Ideologie, dem »Sowjetmenschen«, will Vrubel, in dem er den Bildern Inschriften im Stile des Vaters der sozialen Konzeptkunst, Ilja Kabakov, hinzufügt, die falsche Würde entziehen.

Die transnationalen Parallelen sind auch Dimitrij Vrubel selbst nicht fremd. Seine Ausstellung in der Manege ist mit einer anderen fast identisch, die dieser Tage im Osten Berlins, in der Galerie »Die Wohnmaschine« zu sehen ist. Die Ausstellung Dir traue ich alles zu — Porträts deutscher Typen in der Wohnzimmergalerie von Friedrich Loock und Michaela Irmscher ist von ihrem Konzept her identisch. Nur eines mußte geändert werden: Die sowjetischen Typen hätten dem deutschen Zuschauer wenig gesagt. Deswegen hat Vrubel in deutschen Zeitungen neue Helden gesucht und gefunden, die zu den wörtlich übersetzten Inschriften paßten. Und von dem Scharfsinn seiner Kunst zeugt, daß er, ohne ein einziges deutsches Wort entziffern zu können, sehr charakteristische Köpfe ausgesucht hat. Boris Schumatsky

Noch bis zum 28. Februar in der Galerie Die Wohnmaschine, Tucholskystraße 36, Berlin O-1040.

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