Rotgepolsterte Absurdität

■ Das GiGa-Theater spielt Hildesheimers »Nachtstück« im Theater der Freunde der Italienischen Oper

Gemütlich und vergnüglich nistet sich die Absurdität im rotgepolsterten Schlafstübchen ein. Das »Nachtstück« von Wolfgang Hildesheimer, nach beinahe dreißig Jahren nun erstmals vom GiGa-Theater in Berlin aufgeführt, vertreibt schmunzelnd die Zeit. Kaum aber wird es noch irgendeinen Zuschauer dazu veranlassen, zuhause ängstlich unter das Bett zu schauen, wie es der Protagonist des Zwei-Personen- Stückes mehrmals unternimmt. Der für diese fleißige Beschwörung seiner Hirngespinste schließlich mit der Entdeckung eines Einbrechers belohnt wird.

Von Katrin Bettina Müller

Bernd Ludwig, der seit Jahren quer durch die Offtheaterszene den ewig von Existenznöten Gehetzten professionell absolviert, spielt den Hausherrn, der sich auf die Stunde vor dem Schlafengehen vorbereitet. Er zelebriert die Rituale der Einigelung, kokettiert mit der Angst vor der Schlaflosigkeit, wirft den Gespenstern seiner Erinnerungen kleine Köder aus. Schon in seinen Selbstgesprächen verrät sein mitunter genußreicher Ton intimer Bekenntnisse, daß er sich einer Zuhörerschaft wohl bewußt ist; bevor er den endlich gefaßten Einbrecher zum Zuhören zwingt, hat natürlich das Publikum diese Rolle zu übernehmen. Überflüssigerweise verdoppeln zwei Fernseher, deren Bildschirme er anflüstert, sein imaginäres Publikum. Die beiden Flimmerkisten bringen in das Bühnenbild, das mit Stofftapeten und Portieren Schlafstube und Himmelbett zugleich darstellt und eher ins neunzehnte Jahrhundert paßt, ein schon längst verbrauchtes Zitat eines durch die Medien bedingten Wirklichkeitsverlustes. Doch um diese aktuelle Problematik schlägt die Inszenierung von Richard Maschke einen großen Bogen. Die Ängste des Hausherrn unterhalten zwar als Karikatur der eigenen Verdrängungsmechanismen, aber sie schrecken nicht mehr. Kompakt wie der Bühnenkasten, bleibt das Nachtstück ein seine eigene Spiellaune befriedigendes Theater.

Die Visionen, die den Vereinsamten von der ersehnten »Landschaft des Schlafes« fernhalten, spuckt er in einer Art verkehrter Psychoanalyse dem im Sessel gefesselten Einbrecher vor die Füße, der dies mehr als Lärmbelästigung denn als tiefgehende Kommunikation begreift: Immer wieder verfolgen den Hausherrn Prozessionen, schweigende Aufmärsche von Kardinälen, Generalswitwen und Staatssekretären. Die Bilder entwerfen einen Akt der Selbstbehauptung der institutionalisierten Mächte Kirche, Militär und Staat, bei dem ungewiß bleibt, ob sie sich selbst zu Grabe tragen oder zum letzten Gefecht vorbereiten. Ludwigs Augen bohren sich in das Dunkel über den Zuschauerköpfen und nicht ohne ironische Anleihen bei Nosferatu und der ganzen Sippschaft lebender Leichen schildert er die grotesken Aufzüge durchaus plastisch; allein die kalte Realität der Bedrohung schimmert nirgends durch die vehementen Kabinettstückchen.

Seinen Schlaf rauben dem Hausherrn auch regelmäßig Zahlencodes, die eine fremde Stimme durchs Telefon diktiert. Selbst der Einbrecher weiß um deren Bedeutung, nur er nicht. Diese Vorstellung eines Systems der Verständigung, von dem der Übermittler selbst ausgeschlossen bleibt, scheint in dem 1963 geschriebenen Stück Vorwegnahme der elektronischen Erfassung des Menschen und seiner Verwaltung in Daten. Wirklichkeit hat Dichtung überholt; doch die Schauer des Absurden, das unbegreifliche und irrationale Abgründe aufriß, in das erschreckte Erkennen des Heute zu transformieren, war wohl nicht das Anliegen des GiGa-Theaters.

Nachtstück von Wolfgang Hildesheimer; mit Bernd Ludwig und Detlef Lutz, Regie: Richard Maschke, Dramaturgie: Timo Sturm, Franziska Glombeck, Bühne: Stefanie Bürkle. Aufführungen im Theater der Freunde der Italienischen Oper, Fidicinstraße 40, 1-61, bis einschließlich 17. März, jeweils Do., Fr., Sa., So. um 20.30 Uhr.