„Endlich ist der alte Schwachkopf tot“

Zum 150.Geburtstag von Pierre-Auguste Renoir  ■ Von Stefan Koldehoff

Den 100.Geburtstag seines großen Sohnes konnte Frankreich schlecht feiern: Am 25.Februar 1941 war Paris von deutschen Truppen besetzt, und die meisten Gemälde und Skulpturen von Pierre- Auguste Renoir befanden sich, soweit die Nazis ihrer hatten habhaft werden können, auf dem Weg aus französischen Museen und zumeist jüdischen Privatsammlungen „heim ins Reich“. Die Sonderzüge für den staatlich angeordneten und großangelegten Kunstraub hatte der „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ auf höchste Weisung aus Berlin organisiert. Reichsmarschall Göring hatte Gefallen an der systematischen Plünderung der französischen Kunstschätze gefunden, die auch dazu beitrug, seine eigene Privatsammlung ständig zu vergrößern: Was für das von Adolf Hitler geplante „Reichslandesmuseum“ in Linz nicht in Frage kam, ließ Göring in sein Domizil „Karinhall“ in die Schorfheide bei Berlin transportieren.

Pierre-Auguste Renoir galt schon zu Lebzeiten als der große Klassiker unter den französischen Impressionisten. 1841 im westfranzösischen Limoges als sechstes von sieben Kindern des Schneiders Léonard Renoir und seiner Frau Marguerite Merlet geboren, lernte er nach der Schule bei einer vier Jahre dauerenden Ausbildung zum Porzellanmaler bei „Lévy-Frères et Compagnie“ das künstlerische Handwerk so gründlich, wie kaum ein zweiter Maler seiner Zeit. Als die Erfindung des Porzellandrucks ihn 1858 arbeitslos zu machen drohte, kommen Renoir die Abendkurse zugute, die er an der „École gratuite de Dessin“ nach Feierabend besucht hatte. Als fleißiger und vor allem schneller Dekorationsmaler verdient der 20jährige so gut, daß er sich 1862 endlich das Studium an der École Impériale et Spéciale des Beaux Arts und im Atelier des Kunstmalers Charles Gleyre leisten konnte. Die Familie war schon drei Jahre nach Renoirs Geburt nach Paris gezogen. „Sie malen zweifellos zu Ihrem Vergnügen?“, soll der Lehrer seinen Schüler schon nach kurzer Zeit mit eisiger Miene gerfragt haben. „Aber natürlich,“ will Renoir geantwortet haben, „Sie können sicher sein, ich täte es nicht, wenn es mir kein Vergnügen machte.“

Renoirs damals unerhörte Einstellung, entgegen der allgemeinen Konvention die Kunst als sehr persönliche, freudvolle und sinnlich-lebensnahe Angelegenheit, als genußvolles Handwerk statt als straubtrocken-ritualisierten Dienst an der hehren Göttin Kunst zu begreifen, setzt er in Malerei um, als der junge Maler um 1863 mit den befreundeten Kollegen Sisley und Monet, Bazille und Pissaro im Wald von Fontainebleau die gleichnamige Pleinair-Schule gründet. Paul Cézanne, im selben Jahr aus Südfrankreich zu Besuch in Paris, begleitet die Arbeit des Quartetts wohlwollend.

Die offizielle Pariser Kunstwelt hat für die neue Auffassung von einer wahrhaften und damit auch demokratischen Kunst keinerlei Verständnis. Erst 1868 wird als erstes seiner Werke Renoirs monumentales Bildnis Lise mit dem Sonnenschirm (heute im Museum Folkwang in Essen) zum Salon zugelassen. Renoir findet erste Käufer, erhält Portraitaufträge und organisiert ermutigt 1874 mit seinen Freunden die erste Ausstellung der Impressionisten im Atelier des Fotografen Nadar. Obwohl die Presse auch seine Werke als „Schmiererei“, „Stümperei“ und einen „Angriff auf den guten Geschmack“ verurteilt und es im folgenden Jahr bei einer von ihm maßgeblich mitorganisierten Impressionisten-Auktion im altehrwürdigen Hôtel Drouot sogar zu einer Schlägerei zwischen Freunden und Gegnern kommt, ist Renoirs Aufstieg zu einem der unbestrittenen Stars der Pariser Malerszene nicht mehr aufzuhalten. Immer mehr Portraitaufträge ermöglichen ihm Einzelausstellungen auf Reisen auf den Spuren des verehrten Eugène Delacroix nach Algerien, nach Venedig, Florenz, Rom und Neapel.

Mit dem Erfolg kommt aber auch der Zweifel an der eigenen Malerei. An seinen Freund, den Galeristen Paul Durand-Ruel schreibt Renoir später über seine tiefe Krise, die zugleich die Krise der impressionistischen Bewegung ist: „Um 1883 hatte ich den Impressionismus ausgeschöpft und war am Ende zu dem Schluß gelangt, daß ich weder malen noch zeichnen konnte. Kurz gesagt, der Impressionismus führte in eine Sackgasse. (...) Schließlich sah ich ein, daß er zu umständlich war, eine Malerei, die einen ständig zu Kompromissen mit sich selbst zwingt. (...) Malt ein Künstler direkt nach der Natur, sucht er im Grunde nach nichts anderem als nach Augenblickseffekten. Er bemüht sich zu gestalten — und bald werden seine Bilder eintönig.“ Die Konsequenz, die Renoir aus dieser Erkenntnis für seine Themenauswahl wie für die Gestaltung siner Motive zieht, läßt sich an den zwischen 1883 und 1887 entstandenen Werken der von ihm selbst so genannten „Sauren Periode“ deutlich ablesen: Die spontanen, fast ätherisch skizzierten Landschaften und Portraits sind streng komponierten Bildentwürfen gewichen, die sich jetzt nahezu ausschließlich Renoirs unmittelbarer Umgebung widmen.

In klassisch aufgebauten Bildnissen, die dem von Ingres propagierten klassizistischen Primat der Linie huldigen und die in kühlen und glatten Farben geometrisch und plastischer als bisher die Form betonen, malt Renoir jetzt häufig seine spätere Ehefrau Aline Charigot, die er fünf Jahre nach der Geburt des ersten gemeinsamen Kindes 1890 heiratet, und die drei Söhne Pierre, Jean und Claudine, genannt „Coco“. Der Flucht ins klassisch abgebildete Private war die bittere Erkenntnis vorausgegangen, daß die Impressionisten nicht wirklich die Realität so abbilden konnten, wie sie es sich selbst eingeredet hatten. In ihren leuchtenden Farben und lichterfüllten Bildern konnten sie doch nur den Schein, die „Impression“ einer bürgerlichen Gesellschaft wiedergeben, deren Schattenseiten sie nicht einmal berührten. Die Großen Badenden von 1887 (Philadelphia Museum of Art) verdeutlichen den neuen eingeschlagenen Weg vielleicht am besten und zeigen auch, warum Renoir ihn nach nur knapp vier Jahren schon wieder verließ: Kaum mit ihrer Umgebung verbunden, wirken die als klassische Göttinnen inszenierten Mädchen weit weniger wirklichkeitsnah, als etwa die Frauenbildnisse aus Renoirs impressionistischer Phase. Der Ausbruchsversuch war mißlungen.

In den letzten drei Jahrzehnten bis zu seinem Tod findet Pierre-Auguste Renoir dann aber schließlich doch noch zu jenem farbvoll-vibrierenden Malstil der noch heute aus seinen Bilder herausprüht. Renoir verzichtete jetzt weitestgehend auf detaillierte Vorzeichnungen und Kompositionsskizzen. In seinen jetzt bei Diogenes endlich wieder aufgelegten Erinnerungen Mein Vater Auguste Renoir (kunst-detebe 26024, 19,80 DM) beschreibt sein Sohn Jean, wie sich der Vater jetzt nur noch auf die reine Farbe allein konzentriert und verläßt. Immer wieder Terpentin und Farbe in immer neuen Schichten scheinbar unkontrolliert auf die Leinwand tupfend, läßt der Maler die Bilder aus sich selbst heraus entstehen, beläßt der Natur ihren eigenen, unverfälschten Rhythmus, der sich von der objektiven Gegenständlichkeit der Motive und Modelle hin zu einer rhythmischen Farbwelt entwickelt hat, die trotzdem unvergleichlich wirklich scheint.

1892 erwirbt der französische Staat für das Musée du Luxembourg für den Preis von 8.000 Francs das Genrebild Yvonne und Christine Lerolle am Klavier, fünfzehn Jahre später muß das New Yorker Metropolitan Museum of Art für ein bereits 1878 entstandenes Bild schon die Rekordsumme von 84.000 Francs bezahlen.

Körperlich allerdings geht es mit dem Maler, seit er sich bei einem Fahrradunfall 1897 den rechten Arm gebrochen hatte, stetig bergab. Trotz verschiedener Kuren und einem Umzug der Familie ins südfranzösische Cagnes-sur-Mer 1905 leidet er an ständig wiederkehrenden Rheumaanfällen, die zur Deformation seiner Knochen und vor allem der Hände führen. Seit 1911 ständig an den Rollstuhl gefesselt, müssen dem abgemagerten Maler die Pinsel zwischen die verkrüppelten und mit weichem Leinen umwickelten Finger gesteckt werden. Nach dem Tod seiner geliebten Frau Aline verfällt er im Juni 1915 in tiefe Depressionen, schläft er nachts kaum. Ein Drahtgeflecht verhindert nachts die unerträgliche Berührung des an vielen Stellen wunden Körpers mit der Bettdecke.

Noch im Jahr seines Todes besucht Pierre-August Renoir 1919 den an diesem Tag eigens für ihn geöffneten Louvre in Paris, wo neben der Hochzeit von Kanaan des verehrten Paolo Veronese sein eigenes Portrait der Madame Charpentier von 1877 hängt. „Endlich! Ich kann sie an ihrem Ehrenplatz sehen“, berichtet der ihn begleitende Maler Albert André. Nach einer Lungenentzündung stirbt Renoir am 3.Dezember 1919 im Alter von 78 Jahren.

Wie die Gesellschaft nach dem Tod ihrer Künstler mit diesen umgeht, dieses Thema reizte auch Renoir; in einem Brief an seinen Freund und Biographen Georges Rivière kokettierte der Maler im November 1910: „Ich bin ganz bei der Trauer um Tolstoi. Endlich ist der alte Schwachkopf tot. Wie viele Straßen, Plätze und Denkmäler er wohl bekommt. So ein Glückspilz.“ Um die eigene posthume Fortexistenz brauchte sich Renoir eigentlich kaum Gedanken zu machen. Er hatte, trotz starker Bedenken, das Kreuz der Ehrenlegion angenommen, war in den bedeutendsten Museen der Welt vertreten und durch seine Kunst schon zu Lebzeiten unsterblich geworden.

Die Ehre einer Gedächtnisausstellung allerdings wird Renoir wie schon zum 100. auch zu seinem 150.Geburtstag nicht zuteil. Einzig in Cagnes-sur-Mer erinnert in der einstmals vom Maler und seiner Familie bewohnten „Domaine des Collettes“ eine kleine Retrospektive mit 70 selten gezeigten Werken von Mai bis September an die Leitfigur des Impressionismus. In Paris, argumentiert die französische Museumsverwaltung, habe man erst 1985 eine große Übersichtsschau im Grand Palais gezeigt — die allerdings war auch nur eine Übernahme von der Hayward Gallery in London.

Denjenigen, die sich trotzdem mit Pierre-August Renoir auseinandersetzen möchten, bleiben also einmal mehr nur die Bücher. Neben den bereits erwähnten Erinnerungen von Jean Renoir sind hierfür vor allem die klassische Renoir-Biographie von Kunst-Papst Julius Meier-Graefe (Insel-Taschenbuch 856, 16DM) und ein zum Jubiläum neu erschienener DuMont-Bildband von Sophie Monneret (79DM) hilfreich. Einen Museumsbesuch können aber auch sie kaum ersetzen.