„Wir Deutsche sind zu wehleidig“

■ Willy Wimmer (CDU), Staatssekretär im Verteidigungsministerium, fordert ein neues Bewußtsein für unsere Stellung in der Welt INTERVIEW

taz: Herr Wimmer, die deutsche Außenpolitik seit Beginn der Golfkrise gefällt Ihnen nicht. Weshalb nicht?

Willy Wimmer: Die deutsche Außenpolitik tat sich zu schwer mit der Golfkrise. Bei Kriegsausbruch war sie sprachlos. Da sind außenpolitische Defizite sichtbar geworden.

Außenpolitische Defizite?

Die deutsche Diplomatie ist erst aufgewacht, als Israel mit Raketen beschossen wurde. Und der deutsche Außenminister mußte erst nach Israel reisen, um festzustellen, daß Deutschland international im Handlungsverzug war. Schließlich ist dort mit der Zusage, U-Boote zu liefern, ohne zwingenden Grund ein Grundsatz deutscher Politik über Bord geworfen worden, der Grundsatz, daß in Spannungsgebiete keine Waffen geliefert werden dürfen.

Da war die Israel-Reise. In der Zwischenzeit ist Genscher im Nahen Osten sehr rührig gewesen, hat vorige Woche verschiedene arabische Länder dort besucht...

Das war ein donnerndes Sowohl- als-auch in der Außenpolitik. Der deutsche Handlungsverzug wurde damit nicht wettgemacht. Zurück bleibt der fade Beigeschmack, nicht nur nach Israel reisen zu dürfen.

Deutschland finanziert massiv den Krieg am Golf. Was heißt denn da, es ist im Handlungsverzug?

Jetzt sieht das alles besser aus mit der deutschen Solidarität als noch im Januar. Damals war die deutsche Außenpolitik im Verzug.

Ihr Koalitionspartner FDP will für künftige Einsätze die Verfassung ändern. Mal abgesehen von der Frage, ob da so viele Sozialdemokraten mitmachen, daß die hierfür notwendige Zweidrittelmehrheit im Bundestag zustande kommt: Wie soll denn die Verfassung geändert werden? So, daß deutsche Soldaten nur unter einem Oberkommando der UNO mitkämpfen dürfen? Oder, wie jetzt am Golf, unter einem US-Oberkommando mit Billigung der UNO?

Ich meine, daß eine Verfassungsänderung aus juristischen Gründen nicht nötig ist. Leider bestehen die Freidemokraten bisher darauf, obwohl uns dies bei allen Verfassungsstaaten in ein fragwürdiges Licht setzen wird. Alle Welt weiß, daß wir unsere Streitkräfte bisher aus politischen, nicht aus rechtlichen Gründen international zurückgehalten haben. Jahrzehntelang haben wir die deutsche Verfassung vorgeschoben, jetzt ändern wir sie auch noch. Da müssen unsere Nachbarn doch glauben, wir nehmen unsere eigene Verfassung nicht ausreichend ernst. Ich meine, wir sollten uns mit einer politischen Klarstellung der Verfassung begnügen.

Das klingt ja so, als wollten Sie keine Verfassungsänderung, und zwar deswegen nicht, weil sie meinen, das würde die heutige Verfassungslage, so wie Sie sie sehen, einschränken...

Richtig. Und Tatsache ist: Die FDP hat sich auf eine juristisch unnötige Verfassungsänderung festgelegt, obwohl sie weiß, daß die SPD dieser Verfassungsänderung vermutlich nicht zustimmen wird. Damit können wir in Teufels Küche kommen. Wir müssen hier die Dinge vom Ende her sehen und mit offenen Karten spielen. Nur so finden wir einen innenpolitischen Konsens. Und den wollen auch die Freidemokraten.

Heißt das, Sie glauben an einen Sinneswandel der FDP?

Es ist heute zu früh, darüber zu spekulieren, was noch alles geschieht. Ich hoffe mehr als ich glaube, daß die Problemlage allen klar ist.

Ihr Parteifreund, der CDU-Generalsekretär Volker Rühe, hat etwas vorgeschlagen, was bereits als Lösung des sich anbahnenden Streits zwischen Koalition und Opposition gehandelt wird: deutsche Streitkräfte in gemischten europäischen Militärverbänden für UNO- Einsätze. Was meinen Sie dazu?

Grundsätzlich sollen die Deutschen im europäischen Kontext handeln. Sie müssen sich aber auch gut überlegen, ob sie als Teil europäischer Militärverbände in mögliche Kämpfe um koloniale Hinterlassenschaften anderer Länder hineingezogen werden wollen.

Angenommen, das Grundgesetz würde so geändert, wie Sie es sich wünschen: Deutsche Soldaten dürften weltweit mitkämpfen. Wäre das der außenpolitischen Veränderungen genug?

Nein. Ich fordere ein allgemeines Umdenken in der Außenpolitik. Ich fordere ein neues Bewußtsein für unsere Stellung in der Welt. Zunächst mal dürfen wir international nicht mehr ausschließlich als Bedenkenträger auftreten. Es kostet — politisch und finanziell betrachtet — das Doppelte und Dreifache, dies jeweils wieder wettzumachen. Dann müssen wir Deutschen uns in dieser von Krisen und Kriegen durchgeschüttelten Welt immer wieder fragen, welchen Minimalkonsens es aufrechtzuerhalten gilt: Aus meiner Sicht ist es der Einsatz für die Rechtsordnung der Vereinten Nationen. Es ist aber auch der Kampf für die Möglichkeit, regionale Sicherheitsstrukturen zu schaffen. Wir Deutschen müssen uns da fragen, welche Verpflichtung wir nicht zuletzt als führende Wirtschaftsmacht haben, die internationale Rechtsordnung zu sichern. Wir Deutschen stellen uns diese Frage aber noch nicht: Wir sind — bisher jedenfalls — introvertiert, mit uns selbst beschäftigt, a priori wehleidig. Das muß sich ändern.

Interview: Ferdos Forudastan