Vollgas — aus Solidarität mit dem Osten

■ Mineralölsteuer wird drastisch erhöht/ Benzin voraussichtlich um 25 Pfennig pro Liter teurer/ Einkommenssteuererhöhung nach wie vor umstritten/ Alte Länder bei Ost-Finanzhilfe weiter uneins

Bonn/Berlin (ap/taz) — Entschieden wird zwar erst Mitte nächster Woche, welche Steuern nun ab 1. Juli erhöht werden. „Als sicher gilt“ aber, daß die Mineralölsteuer „kräftig“ erhöht wird. Benzin soll, so sickerte es nach einer stundenlangen Nachtsitzung der Bonner Koalitionäre gestern morgen durch, um „etwa 25 Pfennig“ teurer werden. Für BerufspendlerInnen solle als „soziale Komponente“ die Kilometerpauschale heraufgesetzt werden. Auf Heizöl sollen dem Vernehmen nach zehn Pfennig pro Liter aufgeschlagen werden.

Insgesamt soll die Erhöhung 15,5 Milliarden Mark zusätzlich in die Staatskasse spülen. Allerdings scheint das Finanzministerium bei seiner Prognose anders zu rechnen als das Bundesamt für Statistik: Das hatte erst vor drei Tagen vorgerechnet, daß ein Benzinpreisaufschlag von drei Pfennigen jeweils eine Milliarde einbringt, was die zu erwartenden Mehreinnahmen auf die Hälfte reduzieren würde.

Völlig nebulös waren gestern auch die Angaben darüber, wie viele Milliarden der Bund für den wirtschaftlichen Aufbau Ostdeutschlands und den Golfkrieg zusätzlich für nötig hält. „Voraussichtlich 28 Milliarden“, orakelten „Koalitionskreise“. Und Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann (FDP) forderte in der 'Wirtschaftswoche‘, Steuerhöhungen sollten „nicht zu knapp ausfallen“, wenn man schon mal dabei sei. Auch Naturschutzgruppen nutzten die Gunst der Stunde, einen Benzinpreisaufschlag von 40 Pfennigen zu fordern, um allen Bleifüßlern das Autofahren zu verleiden.

Zur Finanzierung der Einheit sollen in der Nachtsitzung CDU und CSU außerdem eine befristete Anhebung der Einkommens- und Körperschaftssteuern befürwortet haben, bei der Besserverdienende (zum Beispiel Ledige ab 70.000 Mark Jahreseinkommen) stärker zur Kasse gebeten würden. Darauf hätte die FDP ihre grundsätzlichen „Bedenken“ wiederholt, aber „durchblicken lassen“, daß sie auch eine solche Maßnahme hinnehmen würde. Regierungssprecher Dieter Vogel sagte gestern offiziell zu der Koalitionsrunde, die Parteien hätten zunächst eine Art Generaldebatte geführt und wollten am Montag abend erneut zusammenkommen.

Auch die Finanzminister der 16 Bundesländer haben sich Donnerstag nacht auf einer Sonderkonferenz noch nicht darüber geeinigt, wie sie nun die ostdeutschen Länder besser mit Geld ausstatten wollen. Der baden-württembergische Finanzminister Gerhard Mayer-Vorfelder (CDU) teilte mit, daß alle übereingestimmt hätten, daß Ostdeutschland bereits in diesem Jahr zu 100 Prozent in die Umsatzsteuerverteilung einbezogen werden soll. Bisher erhalten die FNL nur 55 Prozent des ihnen eigentlich zustehenden Anteils an dieser Steuer. Die SPD-geführten Länder bestanden auf ihrer Forderung, Vermögens- und Gewerbekapitalsteuern nicht abzuschaffen. Allein an diesem Punkt sei ein einstimmiger Beschluß gescheitert.

Auch die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Ingrid Matthäus-Maier, betonte, die Sozialdemokraten lehnten Steuererhöhungen ab, solange die Koalition die Steuern für Spitzenverdiener und Großunternehmen senken wolle. Wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß auch die Vermögenssteuer de facto zu 95 Prozent auf Betriebsvermögen erhoben wird, weil es für Privatvermögende diverse wirksame Abschreibungsmöglichkeiten gibt.

Aller Voraussicht nach werden sich die Koalitionäre die Abschaffung dieser Steuern nicht wieder ausreden lassen, haben sie doch massive Schützenhilfe seitens der Wirtschaftsverbände erhalten. In einer gemeinsamen Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf betonen die Verbände, der Verzicht auf die Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer trage dazu bei, das Investitionsklima im Osten zu verbessern. Der geringere Verwaltungsaufwand kompensiere bereits jetzt einen Teil der Einnahmeausfälle für Länder und Gemeinden in Ostdeutschland. Das Wirtschaftswachstum werde — solange die ostdeutschen Betriebe noch nicht über große Vermögen verfügen — dem Staat mehr Geld bringen, als es diese Steuern könnten. Donata Riedel