„Die ganze arabische Welt verliert an diesem Konflikt“

■ PLO-Führer Yassir Arafat zur aktuellen Entwicklung im Golfkrieg INTERVIEW

taz: Die Amerikaner und ihre Alliierten haben die sowjetischen Vermittlungsvorschläge abgewiesen, in wenigen Stunden läuft das Ultimatum ab. Haben Sie noch Anhaltspunkte, daß es einen politischen Ausweg gibt?

Yassir Arafat: Die Amerikaner und die Alliierten haben bei mir keinen Zweifel gelassen. Sie wollen keinen Frieden. Es geht um die Zerstörung der militärischen Potenzen des Iraks und um die Zerstörung der zivilen Infrastruktur des Iraks. Wenn man sich die Entwicklung der Positionen anschaut, kann man zu keinem anderen Schluß kommen: Während man anfangs noch auf ein verläßliches Zeichen der irakischen Rückzugsbereitschaft bestand, gibt es nun dieses quasi unannehmbare Ultimatum. Dazwischen gab es eine Menge irakischen Einlenkens, die Initiative der Sowjetunion.

Als Saddam Hussein versuchte, die UN-Resolutionen bezüglich Kuwaits mit denen bezüglich Israels und der besetzten Gebiete zu koppeln, erntete er massive Unterstützung der arabischen, palästinensischen Massen. Nun wurde in der ersten Fassung der sowjetischen Vermittlung diese Verknüpfung noch thematisiert. Mittlerweile ist keine Rede mehr davon. Was ist passiert?

Das dringlichste Ziel der Verhandlungen ist jetzt, den drohenden Bodenkrieg zu vermeiden. Alle anderen Fragen, zum Beispiel die dauerhafte Sicherheit der Region, der arabisch-israelische Konflikt, Abrüstung der Region — all diese Fragen können zu einem anderen Zeitpunkt geklärt werden. Bei umfassenden Friedensgesprächen wird dann sicher das Hegemoniestreben der USA angesprochen. Vergessen Sie nicht, daß die Amerikaner die Kontrolle über die Ölfelder sichern wollen.

Sie denken also, daß es nach dem Krieg auch seitens der Amerikaner und der Europäer Bemühungen geben wird, die Interessen der Palästinenser wahrzunehmen?

Das kommt natürlich als zentrales Problem der Region sehr bald wieder auf die Tagesordnung. Wir haben zwar mittlerweile begriffen, daß es den Amerikanern nicht um eine Lösung geht, sondern um den Schutz Israels. Wir sehen auch, daß die Alliierten dieses Interesse jetzt übernommen haben, die Interessenwahrung Israels und die strategische Zusammenarbeit mit Israel. Aber wir sind fest davon überzeugt, daß das Problem schon sehr bald wieder Gegenstand von Verhandlungen wird.

Der palästinensisch-amerikanische Dialog ist aber bereits vor der Krise um Kuwait geplatzt. Sie wollen die Gespräche wiederaufnehmen?

Schließlich haben nicht wir die Gespräche abgebrochen, das waren die Amerikaner. Man verlangt von uns, daß wir einem südafrikanischen System zustimmen: Homelands in Gaza und Westbank. Es werden Quislinge gesucht, die dann als Feigenblätter die Interessen der Palästinenser vertreten sollen. Die Konsequenzen eines solchen Modells sind bereits vorgeführt worden.

Sehen Sie jetzt nicht eine neue Niederlage der palästinensischen Sache?

Die ganze arabische Welt verliert an diesem Konflikt. Dazu gehören wir. Ich bin sicher, daß die Amerikaner ihre Koalition mit den arabischen Staaten nur allzu bald verraten werden. Das hat Tradition. Spätestens bei den Wahlen in den USA, Präsidentschafts- oder Kongreßwahlen, werden alle Verabredungen mit arabischen Staaten ganz schnell vergessen. Es geht um andere Interessen. Sehen Sie, wir haben sogar dem Plan Außenminister Bakers zugestimmt, der als Vertreter des palästinensischen Volkes Personen vorsah, die nicht Mitglieder der PLO sind, sondern von uns nur bestätigt werden sollten. Wir haben dem zugestimmt. Israel hat abgelehnt. Damit waren die Verhandlungen zwischen uns und den Amerikanern geplatzt.

Sehen Sie nicht, daß mit der Haltung im Golfkrieg palästinensische Interessen verspielt wurden?

Nein, nein, das stimmt nicht. Sehen Sie hier, diese Note haben wir am 30. August 1990 den arabischen, islamischen, den blockfreien Konferenzen vorgelegt. Unsere Vorschläge zur Lösung der Golf- und der Nahost-Krise. Auch damals schon war der Rückzug des Iraks aus Kuwait Ausgangspunkt jeglicher Lösung. Wir haben allerdings auch gefordert, daß Israel aus den besetzten Gebieten und die Amerikaner aus Saudi-Arabien abziehen. Wir haben die Einberufung einer internationalen Konferenz gefordert.

Dennoch ist Ihre Unterstützung des Iraks in Europa und Amerika auf Unverständnis gestoßen.

Die Europäer und die USA können die PLO sehr wohl verstehen. Es liegt nur nicht in ihrem Interesse. Jetzt, heute, wird klar: Sie wollen den Irak, jede machtvolle arabische Position und damit auch die Lösung der palästinensischen Frage ersticken. Das haben wir bereits beim arabischen Gipfel im Mai 1990 in Bagdad begriffen. Es folgte Malta: die Zustimmung der massenhaften Einwanderung sowjetischer Juden nach Israel und damit verbunden die Zustimmung zum Ausbau „Groß- Israels“. Deshalb gab es auch die strategische Übereinstimmung zwischen Israel und den USA lange vor der Golf-, der Kuwait-Krise. Während Israel sehr viel Geld bekam, kürzten die USA die Zahlungen an die UNRWA [UN-Organisation für Palästinaflüchtlinge, d.Red.] um ein Drittel. Jetzt entschädigen die USA und die Europäer die vom Krieg betroffenen Länder. Nur die Palästinenser sehen keinen Pfennig. Dabei haben die Palästinenser nahezu elf Milliarden Dollar verloren. 1,4 Milliarden Dollar flossen allein von palästinensischen Arbeitern in die Westbank und nach Gaza. Wenn das nicht offenkundige Diskriminierung ist, was ist es dann?

Die Liste Ihrer Beschwerden ist lang. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Ich bin noch längst nicht fertig. Die USA haben bereits siebenmal von ihrem Vetorecht Gebrauch gemacht, um Israels Besatzungsmanieren im Sicherheitsrat zu decken. Und es gibt bislang bereits 450 Todesopfer, palästinensische Todesopfer der alliierten Bombardements auf Kuwait. Und es gibt Anzeichen, daß es regelrechte Massaker an Palästinensern dort geben wird.

Waren die Opfer palästinensische Soldaten?

Nein, selbstverständlich nicht.

Haben Sie konkrete Anhaltspunkte, daß die ehemals positive Haltung der Europäer gegenüber der PLO sich geändert hat?

Darüber gibt es keine Beschlüsse. Es ist eine Stimmungsangelegenheit, die der Presse zu entnehmen ist. Die Botschaften der PLO zum Beispiel sind nicht geschlossen worden, es gab ein paar Schwierigkeiten, aber alle arbeiten weiter. In den Golf- Staaten sind die Palästinenser tatsächlich bedroht. In Katar z.B. gab es massenhafte Ausweisungen.

Sehen Sie trotz aller Anschuldigungen einen Weg, den Dialog mit den USA fortzusetzen?

Alle Feinde müssen irgendwann miteinander verhandeln.

Sie müssen also auch mit Israel verhandeln. Dort gibt es eine Friedensbewegung, die solche Verhanlungen fordert. Mit der Haltung der PLO zum Irak glaubt man dort zum Beispiel, könne nicht mehr guten Gewissens der Dialog mit der PLO gefordert werden.

Langsam, langsam. Die Palästinenser befinden sich mit Israel im Kriegszustand. Israel hat Verhandlungen abgelehnt. Es gibt die Besetzung und den Widerstand dagegen. Israels Friedensbewegung, die Linken, sind Teil des israelischen Staates. Damit müssen wir umgehen. Mit denen können wir nicht verhandeln.

Immerhin gab es doch Verhandlungen ...

Es wird verhandelt werden, so viel ist sicher, denn das ist der Strom der Zeit. Bislang haben noch alle Besatzungen früher oder später ein Ende gefunden. Und gerade dieser Golfkonflikt hat gezeigt, daß Israels Theorie der sicheren Grenzen versagt hat. Sicherheit ist nicht eine Frage der Macht, sondern eine Frage dauerhafter politischer Auseinandersetzung, von Gesprächen.

Was sollen die palästinenischen Katjuscha-Raketen bezwecken, die vom Südlibanon abgeschossen wurden. Wollen Sie dort eine neue Front aufmachen?

Da haben wir's wieder, eine typische Frage des Westens. Hören Sie, diese Front wurde niemals befriedet. Nach Verhandlungen haben wir 1982 Beirut verlassen. Dann kamen die Massaker von Sabra und Shathila. Die Verabredungen waren damit gebrochen. Was stellen Sie mir für Fragen? Gab es seitdem eine Woche ohne Luftangriffe? Einen Tag ohne Bombardements der Israelis? Hält nicht Israel den Süden Libanons besetzt?

Zwischen Isarel und den Syrern scheint sich ein Sicherheitsabkommnen anzubahnen. Syrien könnte die Golan-Höhen zurückbekommen, dafür Frieden mit Israel schließen.

Das behauptet die israelische und die US-Presse und Genscher. Ich glaube nicht, daß es zu einem solchen Separat-Frieden kommt. Vor allem aber glaube ich nicht, daß Israel den Syrern die Kontrolle über den Golan überlassen würde.

Deutet sich nicht dort etwas von dem an, was Baker und Bush als „neue Ordnung“ anpreisen?

Möglich. Bislang sieht es aber so aus, daß für die Araber dabei nicht viel abfällt. Denn die arabischen Staaten der Koalition werden dabei nicht gewinnen können. Gegenüber ihrer Bevölkerung können sie diese Koalition nicht halten.

Könnten Sie sich eine neue Ordnung für die Region vorstellen?

Ja, sicher. Eine, die auf Gleichheit beruht und Frieden für alle bringt. Die keine Sklaverei bedeutet. Denn das wollen Baker und Bush jetzt: den Nahen Osten in die Sklaverei führen. Doch auch unsere arabischen Nationen haben eine lange Geschichte und zivilisatorische Tradition. Wir haben das Recht, unsere Zukunft selbst zu bauen und das Recht, Teil am Weltfrieden zu haben, aktive Anteilnahme. Dieses Recht steht derzeit auf dem Spiel. Und auch deshalb ist die gegenwärtige Krise, die beileibe nicht die letzte sein wird, so ganz besonders gefährlich.

Das Gespräch führte Petra Groll, langjährige taz-Korrespondentin im Libanon, im frühen Morgen des vergangenen Samstags in Tunis.