Täuschungsmanöver ohne Schaden

■ Die Bonner Koalition erhöht die Steuern — die Konzeptionslosigkeit hält an

Das „größte und unverfrorenste Täuschungsmanöver seit Beginn der Bundesrepublik“ (SPD-Chef Vogel) ist endlich abgeschlossen. Im Ergebnis sind die Manöverschäden gering: Die Koalition hat sich über die Kosten der deutschen Einheit „etwas verschätzt“ (FDP-Generalsekretärin Schmalz-Jacobsen) und ein Wahlversprechen gebrochen, an das ohnehin niemand ernsthaft geglaubt hat. Gleichzeitig erfährt der aufmerksame Steuerzahler, die Koalition hätte nur deshalb nicht bereits vor den Wahlen über höhere Steuern gesprochen, weil sonst „die gesamte Disziplin, einen sparsamen Haushalt zu führen, verlorengegangen“ wäre (FDP-Fraktionschef Solms).

Nun liegen die Zahlen auf dem Tisch. Ein Durchschnittsverdiener mit 4.000 Mark brutto Monatsgehalt wird ab 1. Juli rund 50 Mark mehr Steuern zahlen müssen. Hinzu kommen zusätzliche Belastungen von etwa 25 Pfennig pro Liter Benzin, die sich bei zu erwartenden Ölpreissenkungen nicht einmal ökologisch auswirken werden, und ein Aufschlag auf Heizöl und Erdgas, für eingeschriebene Christen höhere Kirchensteuern und für notorische Luftverpeßter ein Aufschlag auf die Tabaksteuer. Wenn es stimmt, daß die Wirtschaft und damit auch die Bürger Westdeutschlands durch die Einheit noch verdient haben, sind die jetzt beschlossenen Abgaben und Steuererhöhungen nicht einmal als Opfer zu betrachten. Entsprechend unaufgeregt war und ist auch die Reaktion des Wahlvolks. Allein die SPD kommt offensichtlich nicht über ihre schmerzlichen Niederlage vom 2. Dezember hinweg und verpaßt seit Wochen penetrant keine Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß sie immer schon alles vorher gewußt habe. Sie hat heute nur noch die Lacher auf ihrer Seite. Immerhin hat Hans-Jochen Vogel die geplanten Zuschläge auf Lohn- und Einkommensteuer vorsichtig als „Schritt in die richtige Richtung“ bezeichnet. Unvorsichtigerweise aber hat er angekündigt, daß die SPD-regierten Länder im Bundesrat dem Steuerpaket nur dann zustimmen werden, wenn der geplante Verzicht auf die Vermögens- und Gewerbekapitalsteuer rückgängig gemacht werde. Daran wird er sich bald erinnern lassen müssen.

Doch so wenig die Bonner Koalition in der Lage war, die Kosten der Einheit realistisch einzuschätzen und vorzurechnen, so unfähig ist sie jetzt, die Verteilung der zusätzlichen Mittel in den neuen Bundesländern auch nur anzudeuten. Weit und breit ist kein dezidiertes Aufbau- und Strukturkonzept für die zusammenbrechende Ex-DDR zu sehen. Mit dem Stopfen von Löchern in den Haushalten der Ostbundesländer allein ist langfristig niemandem geholfen. Ohne fundiertes Konzept aber ist jetzt schon absehbar, daß die befristete Steuererhöhung klammheimlich in eine dauernde übergehen wird. Die Enttäuschung über den ausbleibenden Aufschwung im Osten wird dann auch im Westen Wut über die Bonner Unfähigkeit produzieren. Geld allein macht eben noch keine Politik. Barbara Geier