„Bei Krieg im Irak wird der Widerstand erbitterter“

■ Ulrich Albrecht, Waffenexperte und Friedensforscher an der FU Berlin, zu Feuerpause und Kapitulation INTERVIEW

taz: Am Wochenende hat der mit Schrecken erwartete Bodenkrieg begonnen, und gestern hat Saddam Hussein persönlich erklärt, der Irak werde sich nunmehr aus diesem Territorium zurückziehen. Die früheren Erklärungen über die militärische Stärke des Irak, war das nur Zweckpropaganda, um die Einsätze der Allianz zu rechtfertigen?

Ulrich Albrecht: Nein, die irakische Armee war in der Tat sehr stark und auch gut eingegraben. Aber sie kämpfte gegen absolute alliierte Luftüberlegenheit und ohne eigene Flugabwehr, so daß das, was in den letzten Wochen stattfand, eigentlich kein Krieg mehr war, sondern ein Schlachten.

Weshalb haben die Iraker in dieser für sie verzweifelten Situation kein Gas eingesetzt?

Vor allem britische Militärsprecher haben in den letzten Wochen mehrfach betont, sie rechneten mit dem Einsatz dieser Waffe. Im Augenblick steht noch die Befürchtung, wenn der Krieg weiter in den Irak selbst hineingetragen werde, könnte es doch noch zum Gaseinsatz kommen.

Im Unterschied zum Beginn des Luftkrieges reagieren die Generale der Allianz diesmal verhalten: Sie warnen vor verfrühter Euphorie. Welche Rückschläge könnten sie noch erwarten?

Bisher ging es für die Iraker um die Haltung der Stellung in Kuwait, und da mag die Motivation der Truppe nicht sehr hoch gewesen sein. Wenn der Krieg aber in die eigene Heimat getragen wird, so die Vermutung, könnte der Widerstand erheblich erbitterter sein.

Erlaubt der militärische Ablauf der Befreiung Kuwaits eigentlich den Schluß, Saddam Hussein habe das Land nie ernsthaft halten wollen?

Es gibt frühe Äußerungen Saddams gegenüber Ausländern, wo er betont, daß er Realist sei und wisse, daß er sich früher oder später aus Kuwait zurückziehen müsse. Dann hörten wir die massiv vorgetragenen Ansprüche, Kuwait sei eine irakische Provinz. Aber offenbar ist Saddam doch soweit Politiker, daß er selber erkennen und einschätzen kann, ob ein Ziel erreichbar ist oder nicht.

Kann die Allianz politisch überhaupt weiterkämpfen?

Die Koalition unter amerikanischer Führung steht jetzt unter enormen Belastungen. Wenn der Krieg in den Irak hineingetragen würde, wäre er nicht mehr durch die Resolution der UNO gedeckt. Es würden kaum alle beteiligten arabischen Staaten den Bruderkrieg soweit fortsetzen wollen, auch wenn es die bekannten Aversionen gegen den irakischen Präsidenten gibt. Tatsächlich könnte dann, in einem sich hinziehenden Endkampf, die im Iran abgestellte irakische Luftwaffe nochmal eingreifen, eine Freigabe scheint mir dann durchaus denkbar.

In den letzten Wochen hat neben dem Kriegsziel der Befreiung Kuwaits auch immer stärker das Argument, der Irak müsse „zwangsabgerüstet“ werden, eine Rolle gespielt. Ist denn jetzt solch ein Effekt echt erreicht?

Das ist wirklich eine neue Figur in einem Kriegsverlauf, daß die Vernichtung der Rüstung des Gegners gefordert wird, praktisch eine bedingungslose Kapitulation. Eine solche Forderung ist schon deshalb illusorisch, weil herkömmliches Gerät — so der Verlierer will — ja auf den internationalen Märkten schnell wiederbeschafft werden kann.

Diese beabsichtigte „Zwangsabrüstung“ hat aber doch bisher offensichtlich die „Scuds“ noch nicht erreicht. Kann man sich überhaupt vorstellen, daß die militärisch ausgeschaltet werden?

Der amerikanischen Aufklärung ist es während der Kämpfe offenbar bei weitem nicht gelungen, alle Startrampen aufzuspüren. Das ist umso bemerkenswerter, als die Startvorbereitungen für eine Rakete mehr als eine Stunde brauchen, außerdem gehören dazu mehrere Fahrzeuge, ein Trägerfahrzeug, Tankfahrzeuge, ein Feuerleitfahrzeug — solch ein Konvoi sollte in dem offenen Gelände des Irak erkennbar sein. Der Irak hat offensichtlich eine funktionsfähige eigene Produktion für diese Raketen aufgezogen, denn das, was ursprünglich aus der Sowjetunion gekommen ist, müßte verbraucht sein. Die Versuche, den Irak zu entwaffnen, sind im Gegensatz dazu aber schon von der Allianz als erfolgreich gemeldet worden, und zwar bezogen auf die Ausschaltung der Massenvernichtungswaffen, also der atomaren Forschungseinrichtungen, der Anlagen für Chemiewaffenproduktion und für die behaupteten Einrichtungen für die Entwicklung biologischer Waffen. Demgegenüber war die Panzerwaffe immer sekundär.

Für die mögliche weitere Entwicklung gibt es zwei Figuren. Was erwarten Sie, weitere Kämpfe bis zur Kapitulation oder Feuerpause und dann Waffenstillstand?

Die Allianz will sich das Gesetz des Handelns offensichtlich nicht aus der Hand nehmen lassen, was mit einer Feuerpause rasch einträte. Umgekehrt ist aber sehr zu hoffen, daß das Drängen der Sowjets, aber auch anderer Mächte im Sicherheitsrat, jetzt zu einer Feuerpause zu gelangen, rasch umgesetzt wird. Denn mit jeder weiteren Stunde wird der Krieg und das Sterben unsinniger, da ja die Kriegsziele der Vereinten Nationen erreicht sind. Interview: Georgia Tornow