Radio 100 macht Sendepause

■ Konkurs bei Berlins Alternativ-Radio/ Zwei Medienunternehmen streiten ums linke Erbe

Das Berliner Privatsender Radio 100, seit 1986 einzige linke Alternative im Berliner Äther, hat gestern Konkurs angemeldet. Der Sendebetrieb ist eingestellt, zu hören sind auf der Frequenz 103,4 nur noch Blues- Songs und die Durchsage: „Sie hören Radio 100 demnächst mit neuem Programm.“ Der Gang zum Konkursrichter ist der vorerst letzte Schritt in einem Dramenmix um das selbstverwaltete und für seine sogenannten Minderheitenprogramme gerühmten Radios. Das Projekt wird seit Monaten durch fehlende Werbeeinnahmen, politische und programmliche Grabenkämpfe, nicht gezahlte Honorare, Spendenaktionen der HörerInnen und die Suche nach Geldgebern erschüttert.

Nun läuft die letzte Frist der Berliner Privatfunkaufsicht Kabelrat für die RadiomacherInnen von der Potsdamer Straße. Denn ein bereits ausgehandelter und genehmigter Deal mit dem französischen Medienkonzern „Nouvelle Radio Jeunesse“ (NRJ) um 38 Prozent Geschäftsanteile scheiterte am Veto des Anteilseigners MitarbeiterInnenverein (Belegschaft). Die MitarbeiterInnen entschieden sich im letzten Moment für das Angebot eines anderen Geldgebers, hatten vorher aber die Verhandlungen mit NRJ — wohl notgedrungen — mitbetrieben.

Bis zum 15. März haben zwei konkurrierende Auffanggesellschaften Zeit, sich neu zu bewerben. Die eine Gesellschaft besteht aus eben dem MitarbeiterInnenverein von Radio 100, der 34 Prozent der Anteile hält, dem Verein Tolleranz e.V. (Lesbisch-schwules Programm Eldoradio) und dem neuen Geldgeber, der Kreuzberger Mediengruppe Schmidt & Partner. Der MitarbeiterInnenverein und Tolleranz halten zusammen bislang 39 Prozent der Geschäftsanteile. Das Kreuzberger Medienunternehmen verlegt die Wochenzeitschrift 'Freitag‘, einen Zusammenschluß von 'Volkszeitung‘ (West), Ex-'Sonntag‘ (Ost), das Satiremagazin 'Titanic‘ und Bücher mit 'ElefantenPress‘.

Die zweite Gesellschaft wollen die anderen alten Radio-100-Gesellschafter bilden: Anderes Radio Berlin, ein Konglomerat alternativer Vereine und Unternehmen (u.a. auch die taz), Neues Radio Berlin, sowie als Kapitalbringer der französische Rundfunkkonzern NRJ. Die Franzosen wollen laut Radio-100 Geschäftführer Thomas Thimme mehr als fünf Millionen in das Radio stecken. Dann wird es einen von der Geschäftführung eingesetzten Chefredakteur geben, das Programm wird per „Programmuhr“ formatiert, so daß jede Sendestunde die gleiche Dramaturgie hat. „Der Laden ist nicht reformfähig. Da sitzt doch jeder auf seinem Misthaufen und kräht“, meint Thimme denn auch. Thimme will einen Großteil der Belegschaft abfinden und „Profis von außen zukaufen“.

NRJ hat in Frankreich seit Beginn der achtziger Jahre rund 130 Lokalsender und Freie Radios aufgekauft, es sendet auch über Satellit und ist in der Schweiz und Belgien zu hören. Der NRJ-Reingewinn betrug 1990 mehr als 100 Million Francs. Das Programm besteht fast nur aus Musik.

Die MitarbeiterInnen von Radio 100, die auf Schmidt & Partner als kleineres Übel setzen, hoffen auf deren Versprechen, die Programmidentität zu erhalten und rund 20 Leute festanzustellen. Den Chefredakteur sollen sie sich dann noch selber wählen dürfen. Für vorerst zwei Jahre will Schmidt & Partner 2,7 Millionen geben. Die Minderheitenprogramme sollen weiter laufen, aber erst am Ende des Magazintages gegen 20 Uhr.

Nun muß sich zeigen, welche der Gesellschaften den Kabelrat mit dem besseren wirtschaftlichen Überlebenskonzept — und einem Profil, das dem ursprünglichen noch möglichst weit ähnelt — überzeugen kann. Schließlich will der Kabelrat, daß die sogenannten Minderheitenprogramme, in der Ursprungslizenz festgehalten, auch in Zukunft eine Rolle spielen. Radio 100 strahlt Sendungen für Lesben, Schwule, Frauen und AusländerInnen aus, und bringt neben Programmen in Polnisch, Arabisch und Türkisch bundesweit das einzige kurdische Programm. Auch die Musik hat bislang recht wenig mit Mainstream zu tun.

Mit seiner Einschaltquote von kaum mehr als einem Prozent hat Radio 100 auf dem Werbemarkt nur wenig erreicht. Den Werbekuchen hat sich bislang der rechtsgerichtete Sender Radio 100,6 gesichert. Der bedient mit Middle-of-the-Road das mittlere Alter. Direkte Konkurrenz für Radio 100 sind die jugendlich orientierten Programme von SFB 4 (Radio 4 U), Rias 2 und der Ex-DDR- Sender DT 64. In der Zukunft wird auch RTL in Berlin Radio machen. Ein News-Channel von Radio Schleswig-Holstein (Springer) und dem Berliner 'Tagesspiegel' ist geplant.

Die Mehrheit der MitarbeiterInnen ist mit den Nerven und dem Überziehungskredit am Ende. Seit einem Jahr wurden keine Honorare mehr gezahlt, 600.000 D-Mark stehen noch aus. Den MitarbeiterInnen bleibt nur die Hoffnung, daß es irgendwie weitergeht, sonst sind die Ansprüche auf die nicht gezahlten Honorare auch noch weg. Hans-Hermann Kotte