„Ein Sieger braucht doch nicht abzutreten“

■ In den pro-irakischen Ländern gilt Saddam weiterhin als der Mann, der den verhaßten Amerikanern wochenlang die Stirn geboten hat

Zum dritten Mal hat die irakische Bevölkerung in Bagdad die Beendigung des Krieges lautstark gefeiert — am vergangenen Freitag hatte Saddam Hussein das erste Mal einen Rückzug angekündigt, am Dienstag schien durch den Abzug aus Kuwait das Kriegsende nahe, aber erst am Donnerstagmorgen wurde die Feuerpause dann tatsächlich Wirklichkeit. Bereits Stunden bevor Radio Bagdad die Ankündigung des US-Präsidenten bekanntgab, waren die Leute über ausländische Sender informiert und ballerten Freudenschüsse gen Himmel. Am Vormittag sendete dann auch Radio Bagdad die Anweisung an die eigenen Truppen, daß Feuer einzustellen.

In einer martialischen Mitteilung hält Bagdad hartnäckig an der Propagandaformel fest, die Alliierten seien eigentlich geschlagen und somit gezwungen gewesen, eine Feuerpause zu verkünden. Wörtlich hieß es: „Nach der Serie von Schlachten, die im Regierungsbezirk Basra und in anderen Gebieten des großen Irak nach dem Rückzug wüteten, haben die Gläubigen den Übeltätern, den Verbündeten Satans und ihren verfluchten Führern ihren großartigen Glauben bewiesen und auch die daraus erwachsene Fähigkeit, den stärksten Kräften des Verrats und der Aggression solche Lektionen zu erteilen, daß sie sich militärisch und politisch Sorge machen müssen, wenn die Kämpfe weitergehen. Deshalb hat Bush die Entscheidung getroffen, die er heute früh bekanntgab.“ Bereits am Dienstag hatte Saddam Hussein die Rede, mit der er den Rückzugsbefehl aus Kuwait bekanntgab, mit der Aufforderung garniert: „Applaudiert eurem Sieg, meine lieben Iraker. Ihr habt euch 30 Staaten widersetzt und dem Bösen, daß sie hierhergebracht hat.“

Inwieweit diese Parolen in der irakischen Bevölkerung tatsächlich noch auf Zustimmung stoßen, ist im Moment schwer zu überprüfen. Übereinstimmend hatten allerdings ausländische Korrespondenten auch in unzensierten Berichten darauf hingewiesen, daß die massiven Bombardements der zivilen Einrichtungen des Landes die Bevölkerung hinter ihren Präsidenten gebracht hatten. Vor allem Berichte aus Jordanien lassen aber darauf schließen, daß Saddam bei seinen arabischen Anhängern durchaus nicht als Verlierer gilt. Der Sieg der alliierten Truppen auf dem Schlachtfeld war ihrer Überzeugung nach ein reiner Phantomsieg. Selbst Jordaniens Ministerpräsident Mudar Badran erklärte, die Alliierten hätten in Kuwait niemanden besiegen können, weil kaum noch ein Iraki da war. „In Wirklichkeit“, so Badran, „hat Saddam seine Truppen schon lange vorher zurückgezogen und die Alliierten sind einfach ins Leere gelaufen.“ Das gelte selbstverständlich auch für den größten Teil der Elitetruppen, die längst vor der alliierten Einkesselung nach Bagdad verlegt worden seien. Dies sei der Grund für das Anzünden der Ölquellen gewesen, da der Rückzug durch den dichten Rauch gedeckt worden sei. Tatsächlich fragten sich auch amerikanische Reporter, wo die 500.000 irakischen Besatzungssoldaten eigentlich geblieben sind, wenn die Zahlen über Kriegsgefangene (60—80.000) und wahrscheinliche Todesopfer (bis zu 100.000) einigermaßen richtig sind. Bei dem bekannten Kriegsverlauf könnten unmöglich 300.000 Soldaten zu Fuß nach Norden entkommen sein.

Auf der Grundlage dieser Theorie ist es für Saddams Anhänger in Jordanien völlig unzweifelhaft, daß der irakische Staatschef im Amt bleibt. „Er ist kein Verlierer, er hat sieben Monate lang der ganzen Welt die Stirn geboten und sechs Wochen lang einer Kriegsallianz von 30 Staaten widerstanden“, heißt es häufig. „Ein Sieger braucht nicht abzutreten.“

Auch in den USA geht man offenbar davon aus, daß Saddam erst einmal an der Macht bleibt. Außenminister Baker kündigte jedenfalls an, eine Bedingung für einen förmlichen Waffenstillstand sei die Aufrechterhaltung eines Waffenembargos der UNO gegen Irak, solange die gegenwärtige Regierung im Amt sei. Tatsächlich bleibt auch weiterhin unklar, wer Saddam eigentlich stürzen sollte. Die Armee, der nach bisherigen Szenarien diese Rolle immer zugedacht worden war, existiert nach amerikanischer Auffassung ja kaum mehr. Inoffiziell wird deshalb auch eingeräumt, daß es wohl einige Zeit dauern dürfte, bis sich aus deren Reihen wieder Widerstand gegen Saddam regen könnte. JG