Die Wartende und die Stühle

■ Familie Ahner auf der Ausstellung der Gedokkünstlerinnen »Bildräume Lebensräume«

Drei Generationen von Künstlerinnen gestalten die Berührungspunkte ihrer Bild- und Lebensräume. Während sich die 26 Teilnehmerinnen in der Ausstellungshalle des Rathauses Schöneberg mit repräsentativen Arbeiten vorstellen, wurden im Haus am Kleistpark Verschmelzungen und Brüche von Leben und Werk inszeniert.

Einleuchtend ist dabei die Selbstdarstellung zweier Frauen aus einer Bildhauerinnenfamilie. Die Wartende, eine kompakte Gipsskulptur von Ingeborg Ahner-Siese, sitzt auf ihrem Stuhl mit niedergeschlagenem Blick. Die Bildhauerin hat den Körper der alten Frau schwer gemacht; resignativ versinkt sie in der eigenen Masse. Der Wartenden gegenüber stehen in der Ausstellungshalle des Rathauses Schöneberg acht unterschiedliche Stühle, besetzt mit acht Lampengläsern von Susanne Ahner. Zwischen beiden Arbeiten entsteht eine eigenartige Spannung. Gegenüber der typisierten Figur erhält die Versammlung der Stühle unerwartet eine symbolische Bedeutung, die ihr in anderen Ausstellungszusammenhängen nicht zukommt. Sie wird Teil einer Szenerie menschlicher Gemeinschaft, die sozial gemischt erscheint wie Stil und Alter der Stühle. Die stereotypen Lampenschirme dagegen erinnern an das kalte Licht von Behördenfluren und verweisen auf die Normierung und Entindividualisierung des Menschen. Die Wartende, selbst zur passiven Unbeweglichkeit eingefroren, sitzt ihnen dennoch gegenüber wie der Lehrer einer Schulklasse oder der Dirigent seinem Orchester. Auf der gemeinsamen Bühne erfahren beide Werke neue Bedeutung.

Die Konstruktion dieser Beziehung ist Teil der Darstellung der Verwandtschaft beider Künstlerinnen: Susanne Ahner wurde 1960 als Tochter von Ingeborg Ahner-Siese geboren. Nie ganz in den Blick zu bekommen ist im Haus am Kleistpark ihre Installation Beziehungswald, die beider Entwicklungen, die Überschneidung ihrer Formen und das Auseinanderdriften der Mittel verfolgen läßt. In hohen rechteckigen Säulen aus gefaltetem Karton sind in Augenhöhe kleine Sichtfenster eingelassen, die Fotografien aus Werkstätten und private Schnappschüsse sehen lassen. Neben dem Stuhlmotiv lassen sich formale Analogien entdecken: mal ist es die Dynamik einer Skulptur, mal die kompositorische Gliederung, die die figürliche Kunst der Mutter mit den abstrakten Konstruktionen der Tochter verbindet. Glaubt man zuerst ihre Produkte eindeutig unterscheiden zu können, so stellt sich bald heraus, das auch der Weg von Susanne über die Figur führte, bis sie sich von dem Programm der Mutter lösen konnte.

Für beide waren die achtziger Jahre eine produktive Zeit. Das Kunstwollen der Mutter, gebremst von der Notwendigkeit eines Brotberufs, von den Kriegsjahren, von der Ehe mit dem Bildhauer und Steinmetz Ludwig Ahner, Hausbau und Kinderziehung, mußte noch die Kurven von Restaurationsarbeiten und Töpfer- Kursen nehmen, ehe sie mit fast sechzig Jahren Zeit und Mittel für eigene »freie« Arbeiten fand. Dann entwickelte sie, stilistisch gebunden an die handwerkliche Tradition ihrer Ausbildung in der Denkmalpflege, ihre Motive eng an den Problemen des eigenen Lebens. Es entstanden Skulpturengruppen zum Thema der Frau als Gebärmaschine und zu dem lebensfeindlichen Umgang mit alten Menschen.

Die künstlerische Entwicklung der Tochter dagegen verläuft ohne Familienknick und wirtschaftlich bedingte Pausen. Nach dem selbstverordneten Studium der Figur, einer Abtragung des elterlichen Kunsterbes, setzt sie aus alten und gebrauchten Fund- und Bruchstücken Skulpturen zusammen, die noch stilisierte Elemente von Figuren enthalten; dann aber rückt die Inhaltlichkeit des Materials und die ästhetische Präsentationsform in den Vordergrund. Immer lockerer werden die Fäden zwischen der konkreten Materialität des Werks und seinem assoziativen Bedeutungsreichtum geknüpft. Mit der Einbeziehung von Ready Mades nimmt sie Abstand vom Original. An die Stelle des biografischen Bezugssystems ihrer Mutter rückt bei ihr Kunstgeschichte und der Funktionswandel von Kunst. Dieser Paradigmawechsel kann beinahe als generationsspezifisches Merkmal gelesen werden.

Der Beziehungswald nimmt die Form einer anderen Arbeit Susanne Ahners auf: In aufrechtgestellten alten Eisenbahnschwellen waren kleine Bildschirme eingebaut, die die an den Fenstern eines fahrenden Zuges vorbeiflirrende Landschaft zeigten. Der Prozeß der Durchquerung von Raum und Zeit war darin schon zum Objekt verdichtet, das nun aufgefüllt wird mit den Lebens- und Zeiträumen beider Frauen. Den Schnittrhythmus, in dem man die Ausschnitte montieren kann, bestimmt jeder selbst. Die Arbeit der Mutter ist in Susannes Konzept aufgehoben.

Die Möglichkeit, die persönliche Geschichte in eine schon erarbeitete Form umzusetzen, fehlte den meisten anderen Teilnehmerinnen der Ausstellung. Unterstützt von einer HdK- Projektgruppe suchten sie nach Schwerpunkten und adäquaten Formulierungen, doch die Umsetzungen leiden teils unter der didaktischen Zielsetzung, teils unter mangelnder Beherrschung der Mittel. Kaum wird das Kleben der meisten Malerinnen an der Leinwand, das Festhalten an kleinen Formaten, die Suche nach Harmonien kritisch reflektiert. Bezeichnend bleibt für viele der private Raum als Bild- und Lebensraum. In einem Video, das zwischen den Bildräumen und Arbeitsräumen der Malerin Patricia Ehlers Beziehungen aufzeigt, endet der Blick auf vor eine Tür gestellten Schuhen oder geht er aus dem Atelierfenster. Ein Fotobuch von Squaw Hildegard Rose zeigt ihre alltägliche Umgebung als inszenierten Raum; ihre abstrakten Landschaften erscheinen als Fortsetzung der Stilisierung eines betont harmonischen und naturverbundenen Lebens. Ging die Motivation für die Ausstellung, wie Jula Dechs Katalogvorwort vermuten läßt, noch von den defizitären Spielräumen der Frauen, ihrem Ausschluß aus öffentlichen und politischen Handlungsräumen aus, so beschreibt das Ergebnis eher das Nisten in den Innenräumen. Das utopische Ideal der Durchquerung unterschiedlichst definierter Räume, das der männlichen Geste der Besetzung von Positionen entgegen gehalten werden soll, bleibt leider bloße Floskel. So entwirft die Ausstellung ein unbefriedigendes Bild, denn sie kann den Beigeschmack des Kunstgewerblichen als nur mit sonntäglicher Intensität betriebener Kunst nur in wenigen Ausnahmen von den Künstlerinnen abschütteln. Katrin Bettina Müller

Bildräume Lebensräume Ausstellungshalle Rathaus Schöneberg am John-F.-Kennedy-Platz und Haus am Kleistpark, Grunewaldstr. 6—7, bis 31. März, Di.-So. 11-18 Uhr.