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Karneval im Bodenkrieg

■ Über Grüne, CDU-Ossis und Gysi auf der Reeperbahn

Was ist das, wenn man am Sonntagmorgen, wenige Stunden nach Beginn der Bodenoffensive gegen den Irak, in der Parteizentrale der Grünen anruft um eine Stellungnahme zu erbitten, wenn dann keiner da ist, wenn sich nur der Anrufbeantworter mit dem Band meldet: „Guten Tag, hier ist die Bundesgeschäftsstelle. Ihr erreicht uns...Montag ist unter anderem in Köln ein alternativer Karnevalsumzug gegen den Krieg. Weitere Informationen...“?

Ist das nur schlampig? Ist das gleichgültig? Ist das eine besondere Form von grünem Fundamentalismus? Oder will sie sich einfach endgültig vergessen machen, die pazifistische Partei?

Was waren wir verwegen, als wir den etablierten Parteien prophezeiten, der Zuwachs aus dem Osten würde sie nach links drängen. Ein Stündchen, etwa mit den neuen CDU-Parlamentarierinnen von drüben, reicht, um uns bewußt zu machen: Wir lagen erbärmlich falsch.

Nehmen wir zum Beispiel Claudia Nolte, 24 Jahre und trotzdem — oder deswegen — Vorsitzende des Arbeitskreises Jugend und Frauen in der CDU/CSU-Fraktion. Den Vorschlag ihres Kollegen Hoffacker, abtreibungswillige Frauen Prüfungskommissionen auszusetzen, lehnte sie deswegen ab: Es falle schwer, sich vorzustellen, wie solche Kommissionen aussehen sollten. Überdies seien Frauen doch sehr schüchtern. Ihre Kollegin Maria Michalk assistierte: Man dürfe sich die Debatte um den §218 nicht leicht machen, „Es geht schließlich um das Ursächlichste, was wir haben, um das Leben.“

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Gregor Gysi, PDS-Vorsitzender, fühlte sich nach eigenem Bekunden im Westen schon lange unwohl. Immer nur raus aus dem Flugzeug, hin zu der Veranstaltung „mit ein paar hundert aufgeregten West-Linken diskutiert“, zurück ins Flugzeug: „Da haste doch nischt vom Westen gesehen und konnst ihn drum auch nischt leiden.“

Geändert haben soll sich das kürzlich — als Gysi über die abendliche Reeperbahn spazierte, an einem einschlägigen Etablissement und seinem Animateur vorbei: „Supersexshow, Supersexshow!“ habe der unaufhörlich gerufen. Und, als er den PDS-Chef erblickte, „Supersexshow, Supersexshow, guten Abend Herr Gysi, kommen se rein, Supersexshow!“

„Da“, sagt Gregor Gysi „da hab' ich mich das erste Mal im Westen richtig angenommen gefühlt.“ Ferdos Forudastan

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