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JÜDISCHESLEBENINDERILLEGALITÄT  ■  JIZCHAK SCHWERSENZ

Wer Jizchak Schwersenz noch nicht kennt, kann und sollte das heute abend unbedingt nachholen. Die Stadtbücherei Charlottenburg lud Schwersenz zu einer Lesung ein, zu der er zusammen mit seinem treuen Berliner Begleiter Gad Beck erscheinen wird.

Jizchak Schwersenz und Gad Beck sind Juden, die den Nationalsozialismus in der Illegalität überlebten und anderen beim Überleben halfen. Jizchak leitete Gruppen, die jüdische Kinder auf ein Leben in Erez Jisrael, in Palästina vorbereitete. Gad war sein Schüler und Nachfolger in illegaler Zeit. Hatten die Nazis anfangs noch die Emigration von Juden in das von Großbritannien verwaltete Palästina unterstützt, wurde Jizchaks pädagogische Tätigkeit mit den beginnenden Deportationen verboten. Unter falschem Namen und ohne Wohnung arbeitete er aber mit jüdischen Jugendlichen weiter. »Die versteckte Gruppe« ist auch der Name seines autobiographischen Buchs, das gerade in einer überarbeiteten Auflage erschien.

Sind Daten und Fakten der nationalsozialistischen Judenverfolgung weitgehend bekannt, weiß man wenig, wie bedrohte Menschen real unter dem Nazi- Terror lebten. Interessant an Jizchaks und Gads Ausführungen sind deshalb vor allem die Details aus dem Alltag, ihre kleinen Tricks, wie sie das illegale Leben unentdeckt meisterten: Konnte Jizchak kein sicheres Quartier für die Nacht ergattern, stellte er sich einfach an der nächtlichen Schlange der Staatsoperkasse an. Getarnt als Gartenbaulehrer gab er andererseits noch 1942 Unterricht in Jiddisch und zionistischer Lehre. Selbst kleine Widerstandsaktionen wurden nebenbei gewagt, beispielsweise von Jizchaks Kollegin Edith Wolff, die in Bibliothekskatalogen die Nazi-Bücher mit Apothekeretiketten »Vorsicht Gift« überklebte.

Nachdem Jizchak Schwersenz im Februar 1944 auf abenteuerlichen Wegen die Flucht in die Schweiz gelang, übernahm Gad Beck die Leitung der versteckten Gruppe. Als schwuler Jude war Gad doppelt gefährdet, die Freundschaft mit einem homosexuellen »Arier« brachte aber Unterschlupf und Verpflegung für alle. Zusammen mit seinem Gönner wurde er jedoch drei Monate vor der Befreiung von einem Spitzel verraten und verhaftet.

Lange nach Gad ist Jizchak erst 1953 nach Israel emigriert. Daß aber auch seine Ausführungen aus dieser Zeit zur aktuellen politischen Diskussion passen, zeigt eine Szene von der Schiffahrt nach Haifa: Eine Frau weint, als ihnen auf See ein israelisches Kriegsschiff entgegenkommt. Von Jizchak nach dem Grund gefragt, zeigt sie ihm ihre eingebrannte Nummer aus dem KZ Auschwitz und antwortet: »Ich weine aus Freude, daß wir jetzt nicht mehr schutzlos sind«.

Doch nicht nur diejenigen, die sich über die israelischen Reaktionen auf die Äußerungen von Christian Ströbele wunderten, können von Jizchak Schwersenz' Lesung profitieren. Sein anschaulicher Vortrag läßt jede und jeden noch etwas Neues über jüdisches Leben, den alltäglichen Nazi-Terror im »Dritten Reich« und den Widerstand erfahren. Micha Schulze

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