„Unsinnigster Polizeieinsatz der Geschichte“

Rolf Bossi, Verteidiger des Gladbecker Geiselgangsters Degowski, plädiert auf Zeitstrafe/ Harte Kritik am Polizeieinsatz  ■ Aus Essen Walter Jakobs

Die beiden Haupttäter des Gladbecker Geiselgangstertrios, Hans- Jürgen Rösner und Dieter Degowski, sollen nach dem Willen ihrer Verteidiger nicht zu der von der Staatsanwaltschaft geforderten lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt werden. Nach dem die Verteidiger Rösners am letzten Verhandlungstag schon auf eine Zeitstrafe zwischen 8 und 15 Jahren plädiert hatten, forderte auch die Verteidigung von Degowski am Montag eine Bestrafung von höchstens 15 Jahre. Für Degowskis Anwalt Rolf Bossi steht fest, daß sein Mandant an dem Verbrechen lediglich als „Mitläufer“ teilgenommen hat, denn das gesamte Verbrechen „trage die Handschrift Rösners“. Den Tod des 15jährigen italienischen Jungen Emanuele de Giorgi habe sein Mandant nicht vorsätzlich herbeigeführt, wie die Staatsanwaltschaft meint, sondern der tödliche Schuß sei das Ergebnis einer außerordentlichen „Streßsituation“ und einer „Kurzschlußhandlung“. In jedem Fall habe bei Degowski, der den Jungen 32 Stunden nach Beginn des Geiseldramas in dem gekaperten Bus auf dem Gelände der Autobahngaststätte Grundbergsee bei Bremen erschoß, zur Tatzeit „eine Bewußtseinseinengung“ vorgelegen.

Die Tat wertete Bossi als „ungeplante Explosivreaktion“ eines selbst von „Todesangst“ beherrschten Mannes, dessen Schuldfähigkeit „erheblich vermindert“ gewesen sei. Degowski selbst hatte sich gegenüber der Mittäterin Marion Löblich mit der Tat so gebrüstet: „Das hab ich für dich getan.“

Für den Tod der beim Zugriff auf der Autobahn A3 getöteten Geisel Silke Bischoff sei Degowski „strafrechtlich nicht haftbar“. Sein Mandant habe zum fraglichen Zeitpunkt „handlungsunfähig“ zwischen den Sitzen des Fluchtfahrzeuges gelegen. Getötet worden ist Silke Bischoff durch eine Kugel aus Rösners Waffe. Nach Auffassung von Rösners Verteidigung hat sich der Schuß aus der Waffe unbeabsichtigt gelöst — als Rösner selbst von einer Polizeikugel getroffen wurde. Einen solchen Reflex hat auch die Staatsanwaltschaft unterstellt, die Rösner nicht wegen Mordes an Bischoff, sondern wegen Geiselnahme mit Todesfolge lebenslänglich hinter Gitter bringen will. Scharf ging Bossi während seines Plädoyers mit der Polizeiführung ins Gericht. Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor habe seine „Pflichten verletzt“, weil er den Geiselgangstern nicht im Tausch gegen die Geiseln den freien Abzug gewährt habe — wie von der Deutschen Bank gefordert. Den Zugriff auf der Autobahn bezeichnete Bossi als den „unsinnigsten Einsatz in der überschaubaren Polizeigeschichte“. Der „Vernichtungszugriff“ sei erfolgt, obgleich bei der Aktion mit „dem Tod aller Insassen gerechnet werden mußte“. Die 62 polizeilichen Einschüsse zeugten von einem quasi „militärischen Einsatz“. Bossis Co- Anwalt, Sascha Prosotowitz, sprach gar von „einem mörderischen Zugriff“, was ihm eine Rüge des Gerichtsvorsitzenden Rudolf Esders einbrachte. Beide Verteidiger kündigten Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht an.