piwik no script img

„Wenn Du keinen Iraker findest, töte einen Palästinenser!“

■ Ein Palästinenser berichtet über die Situation in Kuwait und seine Flucht nach Jordanien/ In Basra herrschte „totale Verwirrung“ INTERVIEW

Abdu Hassenin ist ein Palästinenser, der am Tag des alliierten Einmarsches aus Kuwait geflüchtet ist. Zwei seiner Verwandten sind auf der Flucht umgekommen. Über Basra ist er nach Amman gelangt, wo er fürs erste in einem der Palästinenserlager am Rande der Stadt untergekommen ist.

taz: Warum sind Sie aus Kuwait geflohen? Wie ist im Augenblick die Lage der Palästinenser dort?

Abdu Hassenin: Als sich die Iraker zurückzogen — das war schon kurz vor Beginn der Bodenoffensive —, begann der kuwaitische Widerstand viele Palästinenser zu verhaften. Es war beängstigend. An den Häuserwänden standen Parolen wie: „Wenn Du keinen Iraker findest, töte einen Palästinenser!“ oder: „Wer einen Palästinenser tötet kommt ins Paradies.“ Viele Palästinenser hatten Angst. Um nicht erkannt zu werden zogen sie dieselben weißen Gewänder wie die Kuwaitis an, oder sie gingen nicht mehr aus dem Haus.

Die anderen Ausländer, zum Beispiel Ägypter und Syrer, hatten keine Angst. ,Wir gehören ja auf die Seite der Alliierten‘, sagten sie. Es begann eine regelrechte Jagd auf die Palästinenser, und dabei wurden oft auch alte Familienfehden ausgetragen. Meine Cousine zum Beispiel ist mit einem Ägypter verheiratet, und es gab immer Probleme zwischen seiner und unserer Familie. Jetzt hat er zwei Brüder von ihr beim kuwaitischen Widerstand angezeigt und gesagt, sie hätten mit den Irakis kooperiert. Einer meiner Verwandten ist in diesen Tagen umgekommen, so beschlossen wir zu fliehen.

Wie ist Ihnen die Flucht aus Kuwait in den Irak gelungen?

Wir sind nachts mit einem Privatauto losgefahren, Richtung Basra. Wir fuhren in einem kleinen Konvoi — drei Pkws und ein Bus. Dann wurden wir von den Flugzeugen der Alliierten angegriffen und bombardiert. Der Bus wurde getroffen und brannte völlig aus. 40 Menschen, alles Palästinenser sind darin gestorben, auch zwei meiner Verwandten. Unser Auto wurde beschädigt und konnte nicht weiterfahren.

Uns haben dann irakische Soldaten aufgesammelt und nach Basra gebracht. Entlang der Straße standen überall zerstörte Autos, fast alles zivile. Militärfahrzeuge sah ich nur wenige.

Wie sah die Situation in Basra aus als Ihr dort ankamt?

In Basra war alles voll mit Militär. Unzählige Häuser waren zerbombt und es waren nur wenige Straßen zu sehen, in denen kein Haus zerstört war. Die Schiiten verbreiteten Gerüchte, zum Beispiel daß Saddam Hussein tot sei. Dann fuhren Militärwagen durch die Straßen und verkündeten über Lautsprecher, daß ,alles unter Kontrolle‘ sei. Es herrschte totale Verwirrung. Das Interview führte Karim El-Gawhary

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen