■ AMBITIOUS LOVERS MIT ARTO LINDSAY

Es gab einmal Zeiten, da war das Berliner JazzFest noch für Überraschungen gut. Das ist gerade mal sechs lange Jahre her. Ein junger Mann aus New York, der offensichtlich weder Gitarre spielen, noch richtig durch seine Brille blicken oder wenigstens singen konnte, tat all das trotzdem. In irgendein Jazzschema passte er sowieso nicht, aber das war damals in einer langen Delphi-Nacht vielleicht noch nicht so wichtig.

Der Aufrührer hieß Arto Lindsay, er schrubbte seine Gitarre wie einen hoffnungslos versifften Küchenbelag. Das war damals genial. Und es klang auch so. Lindsay gelang es mit einfachsten Mitteln und seinem Un-Gesang Songs zu produzieren, die kompliziert und trivial gleichzeitig waren. Er beschritt den goldenen Mittelweg zwischen seinen New Yorker Noise-Kumpanen John Zorn und Anton Fier, den Golden Palominos und den Lounge Lizards. Man half sich gegenseitig bei den jeweiligen Plattenaufnahmen der Mitglieder des Avantgardezirkels. Über die Arbeit an anderen Projekten schien Lindsay seine Miniband namens Ambitious Lovers schon nach dem Plattenerstling »Envy« von 1984 fast vergessen zu haben. Es brauchte vier Jahre bis aus Neid (envy) Habgier (»Greed«) werden konnte.

Dieses zweite Album spielte Arto wieder mit seinem Kollegen Peter Scherer, einem gebürtigen Schweizer ein. Scherer kommt eher aus der einträglichen Disko-Funk Ecke, er arbeitete u.a. mit Cameo, Nile Rodgers und Sheena Easton. In unseren Breitengraden entspräche das Duo Scherer-Lindsay vielleicht in etwa einem Zusammenschluß von Peter Brötzmann und Frank Farian und hieße Milli Vanillis Last Exit.

Die Ambitious Lovers entwickelten sich zu relativ moderaten Habsüchtigen. Langsam kam auch Lindsays Heimat Brasilien, wo er aufwuchs, mehr zum tragen. Portugisischer Gesang kollaborierte nun mit Samba-Rhythmen und Elektro-Funk. Noch einen Schritt weiter in diese Richtung gingen die beiden mit ihrer gerade erschienenen Platte »Lust«. Wollüstig wühlen Lindsay & Scherer im Südamerika-Rhythmus-Fundus ohne dabei Ethnomist zu verzapfen, versteht sich. Für »Lust« haben die Lovers sogar den Jazz-Percussionisten Nana Vasconcelos für einen Titel angestellt. Lindsay muß derweil irgendwo Gesangsunterricht genommen haben, das Flair vom richtigen Falschgesang ist verflogen. Passagenweise geht es auf dieser Platte so ruhig zu, daß man die ambitionierten Liebhaber schon erschlafft glaubt, bevor überhaupt etwas passiert ist. Gibt man ihnen aber ein bißchen Zeit, kommen sie ganz gewaltig. Vor allem wenn sie auf einer Bühne stehen und ihnen jemand dabei zuschaut.

Als »Vorgruppe« die Berliner Band Emotional Blackmail, die man nach dem Demo- Tape zu urteilen auf keinen Fall verpassen sollte. (Um 20.30 Uhr im Loft) A. Becker (Foto: Petra Gall)