Euro-arabischer Dialog trotz Verbitterung

Gemeinsame Kritik an der „Neuen Weltordnung“ auf dem Kongreß „Golfkrieg und die Beugung internationalen Rechts“  ■ Aus Algier Thomas Hartmann

„Wir müssen uns nach den Erfahrungen der Länder erkundigen, die den Zweiten Weltkrieg verloren haben. Wie in Japan müssen die arabischen Staaten zum Beispiel an ihren Universitäten Studiengänge zur genauen Erforschung der USA einrichten, um die Kenntnis dieser Gesellschaft zu verbessern, die seit dem zweiten Weltkrieg systematisch die Hoffnungen der arabischen Welt mit Füßen tritt.“ Mit dieser Forderung überraschte die marokkanische Soziologin und Publizistin Fatima Mernissi letzten Freitag die Teilnehmer eines Kolloquiums in Algier über den „Golfkrieg und die Beugung internationalen Rechts“.

Neben Richtern und Anwälten — vor allem aus Algier und Paris — Soziologen, in Menschenrechtsorganisationen engagierte Intellektuelle wie Fatima Mernissi oder der algerische Anwalt Nouredine Saadi waren auch Politiker der Einladung einer Gruppe algerischer Juristen gefolgt, darunter der ehemalige US-Justizminister Ramsey Clark und der frühere tunesische Außenminister Ahmed Mestiri. Aus Deutschland waren die Europa-Abgeordnete der Grünen Eva Quistorp sowie die Bundestagsabgeordnete des Bündnis 90 Vera Wollenberger nach Algier gereist.

Den Veranstaltern war es insbesondere darum gegangen, trotz der Verbitterung, die in der gesamten Bevölkerung Nordafrikas über die Beteiligung der europäischen Mächte am Golfkrieg besteht, den Dialog mit Europäern nicht abreißen zu lassen.

In der Regel dominierte auf der Konferenz die kritische Untersuchung von Golfkrise und Golfkrieg in den Beiträgen der TeilnehmerInnen: Sie problematisierten die Legalität der UNO-Resolutionen sowie die Überschreitung des vom Sicherheitsrat erteilten Mandats, und sie kritisierten die neue, von US-Präsident Bush durch eben jene Rechtsbeugungen und mit Bomben inthronisierte Weltordnung. Diese lege zweierlei Maß an für die Erste und die Dritte Welt.

Zusammengefaßt lautete der weitgehende Konsens auf dem Kongreß: Die neue Weltordnung hat nichts mit Recht und nichts mit Demokratie zu tun, sondern mit ihr wollen die USA ihre Hegemonie über die gesamte Welt absichern, das heißt ihre ökonomischen und politischen Interessen durchsetzen. Die einhellige Kritik an dem US-amerikanischen Projekt einer „Neuen Weltordnung“ müsse jedoch vor allem in konkrete Alternativvorstellungen von einer neuen Ordnung der arabischen Länder umgesetzt werden, forderte die Soziologin Mernissi.

Die Bombardierung des Irak war in Algier wie in Tunis und Casablanca wie ein Angriff auf das eigene Haus empfunden worden. Alle fühlten sich auf dieser Seite des Kriegsgeschehens. Natürlich spielen im einzelnen die unterschiedlichen innenpolitischen Verhältnisse eine Rolle: In Marokko hat die einhellige Ablehnung des Golfkrieges der Opposition gegen König Hassan II. einen neuen Auftrieb gegeben. Der König, dessen Armee ja auf Seiten der USA am Krieg teilnahm, mußte Anfang Februar eine Demonstration genehmigen, die mit rund 500.000 Teilnehmern zur größten des Landes seit den sechziger Jahren wurde. Und das Bedeutendste: Die Polizei wagte nicht einzugreifen, obwohl Parolen mit Kritik an der Politik des Königs gerufen wurden - normalerweise undenkbar in Marokko.

In Algerien ist die Situation anders: Alle Parteien sind sich im Prinzip über die Solidarität mit dem irakischen Volk einig, sogar mit der Regierung. Es ist bisher nicht ersichtlich, daß irgendeine politische Gruppierung aus dem Golfkrieg besonders Kapital schlagen kann. Auch nicht die Siegerin der letzten Kommunalwahlen, die Islamische Rettungsfront (FIS), die zunächst sogar an Glaubwürdigkeit einbüßte. Sie unterstützte erst die Politik der saudischen Regierung, die ihr Geldgeber war, und vollzog erst im Laufe der Golfkrise eine Wendung zur Stimmung in der Bevölkerung. Die FIS könnte noch eine andere wichtige Wendung vollziehen: Ende Januar besuchte einer ihrer führenden Geistlichen, Ali Belhadj, Teheran Die Iraner könnten jetzt die Chance bekommen, von den islamischen Bewegungen mehr als die Saudis akzeptiert zu werden.

Der Golfkrieg wird allgemein, in Algerien wie in Marokko oder Tunesien, als eine schmerzhafte Erinnerung daran verstanden, daß die Rahmenbedingungen der arabischen Welt nicht von ihr selbst, sondern von außen bestimmt und zur Not militärisch erzwungen werden. Dazu gehören ökonomische Zwänge durch die Beherschung des Weltmarktes genauso wie direkte politische Interventionen, etwa die Finanzierung der islamischen Bewegungen durch die Saudis in den letzten Jahren. So wirken diejenigen an der Blockierung demokratischer Verhältnisse mit, die im Golfkrieg angeblich die Freiheit verteidigen.

Den USA und ihren Verbündeten wird einfach nicht abgenommen, daß es ihnen um die Tugenden Recht und Demokratie geht, die sie im Munde führen. Schließlich haben sie Saddam bekanntlich früher auch als Verbündeten akzeptiert und ihm die ganze Kriegsmaschinerie erst teuer verkauft.

Dennoch ist unter den Intellektuellen in Algier, Rabat und Tunis das Bewußtsein vorhanden, daß nur in Zusammenarbeit mit Europa die Zukunft der arabischen Welt gestaltet werden kann. Allerdings will man sich die Partner selbstbewußter aussuchen — insbesondere die französische Regierung ist derzeit überhaupt nicht gut angesehen. „Bush ein Mörder, Mitterrand sein Schoßhündchen“ war eine der Demonstrationsparolen in den letzten Wochen. Immer wieder wird die Frage gestellt, warum die europäischen Mächte die Kriegspolitik der USA mitgetragen haben, statt eine politische Lösung des Golfkonflikts durchzusetzen.

Eine Antwort schlug der marokkanische Schriftsteller und Soziologe Abdelkabir Khatibi vor: Er charakterisierte das Drama des Golfkrieges als ein Ritual, das symbolisch das Opfer des anderen, des Auszugrenzenden, des Antidemokraten, erfordert habe, um als Gründungsmythos der neuen Weltordnung dienen zu können - so wie die Ausrottung der Indianer zum Gründungsmythos der amerikanischen Gesellschaft gehört.