Zwei Kriege

Sie waren Scharfschützinnen, Flakgeschützführerinnen, Sanitäterinnen oder Partisaninnen. 800.000 sowjetische Frauen kämpften im 2. Weltkrieg an der Front. »Betrachtet man den Krieg mit unseren Weiberaugen, dann ist er schrecklicher als schrecklich«, weiß Frau Mischutina, eine der 7000 Kämpferinnen, die die russische Autorin Swetlana Alexijewitsch über ihre Kriegserlebnisse befragte.

Aus ihren Aufzeichnungen stellte Alexijewitsch ein Buch zusammen, dem sie den Titel »Der Krieg hat kein weibliches Gesicht« gab. Blutjung meldeten die Patriotinnen sich meist freiwillig zur Front und erfuhren dort eine Wirklichkeit, die mit der offiziellen Version der Kriegsgeschehnisse nichts zu tun hatte. Gerade die Diskrepanz zwischen »männlicher« und »weiblicher« Erinnerung an die Kriegszeiten stellt die Autorin, beispielsweise mit dem Bericht eines Ehepaares heraus. Die Scharfschützin Morosowa wunderte sich: »Warum kommen Sie eigentlich zu mir? Meinen Mann sollten Sie befragen, der könnnte Ihnen eine Menge berichten. Ich habe nur behalten, was ich selbst erlebte. Was wie ein Haken in der Seele steckt...« Doch auch oder gerade sie weiß von der alltäglichen Schwerstarbeit im männlichen Kriegsalltag, von der Schwierigkeit, zu töten und von den Heldenehrungen, bei denen Frauen nur mit den kleineren Medaillen bedacht wurden.

In einer Zeit, in der Krieg zum High-Tech-Armdrücken und zensierten Jedermann-Pantoffelkino gereift ist, spielen individuelle Erfahrungen von der Front nur eine untergeordnete, ins Feld der Boulevardberichterstattung gerückte Rolle. Am Blutvergießen und dem Leid der Betroffenen aber hat sich nichts geändert, auch wenn die Videoästhetik von heute die kriegerische Grausamkeit vorenthält.

Daß besonders die persönliche, private Erinnerung an den Krieg seine entsetzlichsten Bilder beschwören kann, zeigte bereits letztes Jahr das »Projekt Tiefenenttrümmerung«: An historisch bedeutsamen Orten las u.a. die Schauspielerin Peggy Lukac aus den Tagebüchern von Männern, Frauen und Kindern von 1939-1945, die die Muße fanden, Bombenalarm, Wäschewaschen und den Sondereinsatz für den »Führer« in ein und derselben Zeile nierderzuschreiben.

Am Freitag ließ Peggy Lukac aus den Erinnerungen der sowjetischen Frauen. Die Erzählungen der Mütter, Schwestern und Ehefrauen sind eine Anklage gegen den Kreig. Doch die heutige Lesung findet eher zufällig als beabsichtigt am Internationalen Frauentag und ohne den feministischen Alleinanspruch auf Frieden statt. Auch wenn der Krie kein weibliches Gesicht haben mag, muß die Ahnung, daß mit Frauen kein Kriegzu machen ist, noch bewiesen werden.

Um 20 Uhr in der Wilhelm-Liebknecht- Bücherei, Adalbertstr. 2, 1-36. (Abb.: »Museumsangestellte auf dem Dach der Eremitage bei der Feuerwache.« Aus: Rußland im Krieg 1941-1945, Schweizer Verlagshaus AG Zürich, 1988, mit freundlicher Genehmigung des Verlags) Barbara Schäfer