Der Körper reinigt sich selber

■ taz-Gespräch mit einer Psychologin über den Sinn und Unsinn des Fastens

Die Psychologin Gisla Gniech, seit 1973 an der Bremer Uni, beschäftigt sich bereits 10 Jahre mit der „Psychologie des Essens“. Was sie in ihren Vorträgen und Seminaren immer wieder behandelt, ist die Beziehung zwischen Sinnlichkeit und Eßverhalten. Ein anderes Thema sind Eßstörungen und deren Ursachen.

taz: Was halten sie von freiwilligen Fastenzeiten, um Körper und Geist zu erleichtern?

Gisla Gniech: Grundsätzlich bin ich der Meinung, daß Körper und Geist erleichtert werden sollten. Das findet aber auch im normalen Alltag statt. Körperlich, indem wir auf die Toilette gehen und über die Ausdünstungen der Haut. Die seelische Reinigung ist für mich, daß man nicht verkrustet, sondern sich eine gesunde Emotionalität bewahrt, aggresiv, fröhlich oder traurig ist. Das ist die ganz normale Reinigung. Dem Fasten gegenüber bin ich allerdings eher skeptisch eingestellt.

Warum?

Weil Körper und Seele, die sich nach inneren Gesetzen der Selbstregulierung verhalten, einen solchen Eingriff nicht nötig haben. Der Körper lebt ja durch Essen und Atmen. Und ich höre doch auch nicht plötzlich willkürlich auf zu atmen. Ich glaube, daß diese Fastenideologien nur deshalb zustande kommen, weil wir aufgrund von sozialen Einflüssen dazu getrieben werden, ein Übersoll in uns hineinzustopfen.

Argumente der Fastenden knüpfen genau hier an. Sie sagen, um die Ernährungsweise zu ändern, ist das Fasten für eine gewisse Zeit nützlich.

Ich halte das nur in Krankheitsfällen für richtig. Bei Gesunden ist das nicht nötig. Man muß nur auf die innere Stimme hören. Ich habe mich jetzt seit zehn Jahren mit dem Essen befaßt, besonders mit dem Genuß und der Lust. Daraus habe ich so eine Art Selbstregulierungsthese entwickelt: Der Körper weiß ziemlich genau, was ihm bekommt und das signalisiert er über Appetit und Ekel.

Dagegen spricht aber die tagtägliche Erfahrung mit Übergewicht und gleichzeitigen Mangelerscheinungen im Wohlstand.

Das Problem ist die Zivilisation, das Überangebot an Speisen bei gleichzeitiger Bewegungsarmut und die allgemeine Hektik. Man hat ja gar keine Zeit mehr nachzudenken. Das unkontrollierte, hastige Essen, zum Beispiel am Bahnhofskiosk, das Reinstopfen von Süßigkeiten, das wird natürlich nicht vom Körper diktiert.

hier das Portraitfoto

Gisla Gniech Foto: Sabine Heddinga

Woher weiß ich aber, wann mein Körper spricht und nicht ein Bedürfnis, das durch die Werbung stimuliert wurde?

Ich glaube, der Körper kann einem nur etwas diktieren, wenn er nicht ausgehungert ist. Dazu sind Untersuchungen in den USA gemacht worden. Man hat einer Gruppe von Versuchspersonen ein halbes Jahr lang genau die Kost verabreicht, die es in Deutschland nach dem Krieg gab. Das Ergebnis war, daß bei diesen Leuten der Hunger-Appetit-Mechanismus für immer zerstört war.

Und den gleichen Effekt befürchten sie beim Fasten, auch wenn es sich nur um ein oder zwei Mal im Jahr handelt?

Ja.

Aber die Leute, die fasten sagen, daß sie sich danach blendend fühlen. Wiederspricht das nicht ihrer These?

Nein. Psychologisch ist das so. Heute fühlen sich die meisten den Alltagsbedingungen ausgeliefert. Das einzige, wo sie die eigene Macht spüren, ist ihr Körper.

Wenn sie dem Körper dann die Nahrung versagen, geraten sie in euphorische Zustände.

Was steckt noch dahinter wenn Leute gerne fasten?

Das ist ein Schönheitsideal, das unter dem Normalgewicht liegt. In den meisten Fällen wird gefastet um dünner zu werden. Es geht nicht so sehr um das Wohlbefinden der Seele.

Das Einschränken von Nahrungsaufnahme bei einem Überangebot, diese asketische Haltung hat aber auch damit zu tun, daß man sich nicht der Zivilisation stellen will.

Fragen: Birgit Ziegenhagen