Ein Elefant von Ho Chi Minh

■ Sozialistische Gastfreundschaft im Tierpark, von Feierabendbrigaden geschaffen

Woran sollte man sich von der endlosen Verstellung, Falschheit und Heimtücke der Menschen erholen, wenn die Hunde nicht wären, in deren ehrliches Gesicht man ohne Mißtrauen schauen kann?« Ach, wie gern würden wir es diesem Seufzer Schopenhauers gleichtun, wäre auf den Straßen der zukünftigen Hauptstadt nur ein einziges ehrliches Hundegesicht zu entdecken. Aber wir stellen mit Sorge fest: Kein Stadthundegesicht hält einer solchen Prüfung stand. Unser ehrlich forschender Blick fällt heutzutage nur noch in heimtückische, endlos verstellte und unterwürfige Hundevisagen. Ob Langnase oder Plattschnauze, ein jedes Antlitz senkt den Blick oder keift dem Spaziergänger unverständliche Beteuerungen seiner Unschuld ins Ohr. Und das alles nur wegen der ungelösten Häufchenfrage.

Ein ehrliches Hundegesicht erkennt man an seiner Interesselosigkeit in ebendieser Frage und an einer generellen Indifferenz gegenüber dem Menschen. Derartige Hundegesichter gibt es in Großberlin derzeit genau fünf. Sie gehören den dickköpfigen, gelben Urwalddingos im Tierpark Friedrichsfelde. Wer sich also von der unendlichen Verstellung, Falschheit und Heimtücke der großstädtischen Christen und Hunde ein wenig erholen möchte, sollte diese bernsteinäugigen, halbwilden Kerle besuchen. Vom Ausgang der U-Bahn-Station »Tierpark« bis zur Arche Noah des Gründers Prof. Dr. Dr. Heinrich Dathe sind es vielleicht sechs Schritte. Der Eintritt kostet nach wie vor der Wende drei Mark. Es empfiehlt sich sehr, Professor Dathes Tierpark-Führer zu erwerben. Er enthält in Kürze, was der Besucher jeden Sonntag um halb neun in der Sendereihe des Berliner Rundfunks Im Tierpark belauscht verschlafen hat. Neben der knappen Gebrauchsprosa zum Tierbestand findet man hier unerhörte Begebenheiten aus allen Teilen der Welt, von Professor Dathe persönlich erzählt. So erfahren wir zum Beispiel nicht nur, daß in Indien Zebus als unantastbar gelten, sondern auch, daß jene darüber genau informiert sind. Unser Gewährsmann beschreibt folgende Szene: »Gefällt es einer Kuh, sich etwa mitten auf der Fahrbahn niederzutun, dann bleibt die Straßenbahn eben stehen, bis das Rind geruht, sich wieder zu erheben.«

Im Frühjahr ist der Park fast menschenleer. Hin und wieder trifft man auf ein Berliner Elternpaar, das seinen Kurzen die Vorschriften des Parks ans Herz zu legen versucht. »Schnecke« und »Knaller«, wie die Kinder in diesem Bezirk mit Vorliebe gerufen werden, sind nämlich wildentschlossen, den Hinweis zu mißachten, daß die wertvollen Tierbronzen keine Kletterobjekte sind.

Seltsamerweise interessieren sich die Schnecken und Knaller auch sonst mehr für die frei hüpfenden Krähen und Spatzenbrigaden als für dickpelzige Wisente, Giraffenstaffeln, gelbe Eisbären vor weißem Schnee (sofern es gerade geschneit hat) oder was dergleichen Wunder es noch zu bestaunen gibt. Auch die erwachsenen Besucher absolvieren die sechzehn Kilometer Wegstrecke der hundertvierzig Hektar — das sind dreimal soviel wie im Zoologischen Garten — mehr ins Gespräch denn in die Erforschung der Tierwelt vertieft. Wer im Tierpark lauscht, hört vielleicht hin und wieder eine lobende Bemerkung über ein schönes Ausstellungsstück, viel öfter jedoch Häßliches über die nicht anwesenden Familienmitglieder. Allein der Frischling unter den Besuchern widmet sich den Wundern, den Landschaften aus Kamelhöckern im Gegenlicht, den gefiederten Wendehälsen, die sich »Rauhfußkäuze« nennen und stoisch warten, was da auf sie zukommen mag, den liebenswerten Wildschweinen, die zwischen ihren Hauern vorsichtig Haselnüsse knacken, den Bellhirschen, Lach- und Sturmmöven, Indianerbüffeln und Tüpfelhyänen.

Der als Barockgarten angelegte Schloßpark hat immer noch etwas Hochherrschaftliches. Die Tiervölker werden nicht hinter Zäunen gehalten, sondern residieren auf weiter Flur, vom Besucher getrennt durch künstlich angelegte Flüßchen, in denen allerlei buntes Wassergeflügel den Tag lang zackelt und gründelt. In den siebziger Jahren, als der Tierpark keine Mittel von offizieller Seite bekam und alle Materialien für den Wohnungsbau gebunden wurden, widmeten sich Feierabendbrigaden mit Hingabe der Einrichtung von Abenteuerspielplätzen für Japan- Makaken und tadschikische Fettsteißschafe. Dafür, daß sie nun nicht mehr reisen durften, wurden die Tiere prächtig entlohnt. Damit sich die einheimischen Uhus heimisch fühlen konnten, gestaltete man ihre Brutstätten nach dem Vorbild der Thüringer Muschelkalkfelsen. Besonders die weitgereisten Ankömmlinge sollten von der sozialistischen Gastfreundschaft nicht enttäuscht sein. Um komfortable Unterbringung einer äthiopischen Ibis-Familie kümmerte sich persönlich das Kombinat VEB Keramische Werke Hermsdorf. Es übergab anläßlich der zehnten Weltfestspiele der Jugend dem Tierpark eine selbstgetöpferte Felsvoliere.

Die Angola-Giraffen sind übrigens der Sammelaktion von Tausenden von Lesern der Kinderzeitschrift 'Bummi‘ zu verdanken, und die »würdevolle Bedächtigkeit«, die Professor Dathe im Benehmen der Schuhschnäbel feststellt, läßt sich vielleicht dadurch erklären, daß diese Vögel nicht allein für sich selbst schnäbeln, sondern auch für die »Gebefreudigkeit unserer Handelsmissionen im Ausland«. Denn daß man Tiere austauscht, gehört zum diplomatischen Alltag demokratischer und anderer Republiken.

Im Unterschied zum seltsamen Verhalten der von der Volksrepublik China dem Zoologischen Garten geschenkten Panda-Bären — 'Bild‘-Leser erinnern sich: Der eine wollte umgehend versterben, und der andere war taktlos genug, neben dem noch warmen Toten genüßlich frische Bambussprossen zu knuspern — erfreut sich Elefant »Kosko«, ein Mitbringsel von Ho Chi Minh, mit einunddreißig Jahren bester Gesundheit.

Dem Kunsturteil von Professor Dathe muß der Besucher nicht unbedingt Folge leisten. Die Liebe dieses Nestors der Welttiergärtnerei galt neben der Fauna ganz besonders ihrer naturalistischen Abbildung durch den Meißener Bildhauer Erich Oehme. Die Programmpunkte »mit Ergriffenheit [betrachten wir] das prachtvolle Standbild des Riesenhirsches« oder »betroffen verharren wir vor der eindrucksvollen Plastik einer wütenden Säbelzahnkatze in natürlicher Größe« darf man getrost überspringen, auch damit am Ende noch etwas Zeit bleibt für den wirklich prachtvollen Blick vom Terassencafé auf die neuklassizistische Fassade des Friedrichsfelder Schlosses. Doja Hacker