Bush bläst zur Öljagd in der „Serengeti“ Alaskas

■ Nach dem Golfkrieg will George Bush gegen den Widerstand der „Greenies“ die Ölförderung im Naturreservat „Arctic National Wildlife Refuge“ durchsetzen/ Die Golfkrise schaffte die Legitimation zur Neuauflage einer alten Energiepolitik der „nationalen Sicherheit“VON HENK RAIJER UND GUNDA SCHWANTJE

Was die folgenschwere Havarie des Supertankers Exxon Valdez vor der eigenen Haustür am Karfreitag 1989 endgültig zunichte gemacht zu haben schien — die Hoffnung der Ölbosse auf eine schnelle Ausweitung der heimischen Ölförderung durch die Erschließung lange Zeit umstrittener neuer Quellen in Alaska —, das wurde von Saddam Hussein im Handstreich korrigiert. Ex-Ölmann George Bush selbst war es, der Ende letzter Woche bekanntgab, mehr heimisches Öl zum Kernpunkt seiner künftigen Energiepolitik machen zu wollen. Es ist die Sorge um die wachsende Abhängigkeit von Ölimporten vor allem aus den Ländern der jetzigen Krisenregion, welche die US-Administration umtreibt. Zwar hat sich der Mann im Weißen Haus gerade mit einem beispiellosen Aufgebot an Menschen und Material den exklusiven Zugang zum mittelöstlichen schwarzen Gold gesichert. Dennoch soll in Zukunft mehr Öl möglichst aus „weniger unruhigen“ Zonen eingeführt und das heimische Förderrevier am arktischen Ozean zur „Jagd“ freigegeben werden.

Unter den Pionieren in den Chefetagen der Ölmultis herrscht Bombenstimmung: dürfen sie nun womöglich doch bald die vermuteten gigantischen Ölreserven im nördlichsten Zipfel Alaskas anzapfen? An Energiesparen, an eine Senkung des pro Kopf größten Energieverbrauchs der Welt will nach wie vor weder der Präsident noch sonst jemand im Land der unbegrenzten Möglichkeiten einen Gedanken verschwenden; die Autofahrer dürfen und sollen weiterhin billigen Sprit durch den Auspuff ihrer Achtzylinder in die Atmosphäre blasen, Amerikas Energiesucht soll weiter „ohne Steuern und Einschränkungen von Wirtschaft und Industrie“ befriedigt werden.

Wenig scheint der ersten Probebohrung im Wege zu stehen — im seit einem Jahrzehnt umstrittenen Projekt im Arctic National Wildlife Refuge (ANWR), dem letzten noch unangetasteten Ökosystem seiner Art, wo noch heute Moschusochsen, Karibus, Wölfe, Füchse, Grizzly- und Polarbären vom Menschen unbehelligt streunen.

„1002 Area“: Wertvollste Immobilie Nordamerikas

2,1 Millionen Barrel Öl (ein Barrel = 159 Litern) täglich fördern Exxon und Konsorten schon heute in den schwer zugänglichen Weiten des 49. Bundesstaates, in der Hauptsache auf den „Feldern“ nahe Prudhoe Bay, ein auf 500 Quadratkilometern abgesteckter Claim von 16 Ölgesellschaften am nördlichen Ende der Trans- Alaska-Pipeline. Das sind 100 Millionen Tonnen im Jahr, damit knapp ein Viertel der heimischen Ölförderung. Da aber diese Quellen nach Meinung mancher Experten innerhalb des nächsten Jahrzehnts zu versiegen drohen, sehen die Ölmultis Handlungsbedarf — wie auch so mancher Alaskaner; denn nicht nur zahlen die Nordlichter so gut wie keine Steuern, der Ölstaat — dessen Etat zu 87 Prozent aus den Abgaben der Ölindustrie finanziert wird — schickt sogar jedem seiner 520.000 Bürger, ob Rentner oder Säugling, Öltantiemen in Höhe von bis zu tausend Dollar jährlich ins Haus.

„Permanent Fund for Alaska“ nennt sich die Gans mit den goldenen Eiern, deren Produktivität nie zu versiegen scheint, weil sich die Ölindustrie ein ganzes Land zum Sonderpreis unter den Nagel gerissen hat. „Doch die Gans, die uns bisher so reichlich bedacht hat, wird alt“, sagte vor kurzem Walter Hickel, seit November letzten Jahres Gouverneur von Alaska, „wir brauchen eine neue Gans.“ Und die Gans, die der geschäftstüchtige Politiker im Auge hat, das ist die Coastal Plain, ein ca. 170 Kilometer langer Küstenstreifen im knapp eine Million Quadratkilometer umfassenden ANWR, das 100Kilometer östlich von Prudhoe Bay beginnt — in der Sprache der Prospektoren Ten-O-Two-Area, (1002 Area), wahrscheinlich die zur Zeit wertvollste Immobilie Nordamerikas.

Parallelen zur „Ölkrise“ von 1973 nicht rein zufällig

Auch unter Berücksichtigung aller geologischen Unwägbarkeiten, so jubelt das zuständige Innenministerium, liegen nach Meinung seiner Experten unter der Oberfläche von 1002 Area mindestens 600 Millionen Barrel Öl. Ein besonders euphorischer Kollege geht sogar von bis zu 9,2 Milliarden Barrel aus. Auch der Geologe Thomas Marschall Jr., Entdecker der Ölvorkommen von Prudhoe Bay, der von der Naturschutzorganisation National Wildlife Federation als unabhängiger Gutachter angeheuert wurde, kam nach eingehender Analyse der geologischen und seismischen Daten zu dem Schluß, daß es sich bei 1002 Area um das zweitgrößte Ölvorkommen der Welt handele, zehn Mal reicher als Prudhoe Bay und übertroffen nur von Saudi-Arabien.

Die Krise am Golf kam der Ölindustrie nicht ungelegen. Zehn Jahre lang hatten sich Alaskas Umweltschützer mit Erfolg gegen ihren Zugriff auf das ANWR widersetzt. Die vielen in der Alaska Coalition zusammengeschlossenen Umweltverbände hoffen nun, daß das Trauma vom Schwarzen Freitag 1989 — als 42 Millionen Liter Rohöl aus dem Schlund des Supertankers Exxon Valdez den Golf von Alaska in einen „geteerten“ Parkplatz zu verwandeln drohten und den Fischern von Valdez bis Kodiak jede Menge Freizeit bescherten — so präsent geblieben ist, daß sie den Widerstand gegen eine Neuauflage der hochtrabenden Pläne der Ölindustrie stärken können. Für viele Amerikaner war damals eine Grenze endgültig überschritten, als die ersten Bilder der stolzen US-Weißkopf-Wappentiere, die in Form von stinkenden Drecklumpen aus dem Ölschlick des Sunds gezogen wurden, über die Fernsehschirme flimmerten.

Schon einmal — 1968, nach dem Ölfund in Prudhoe Bay — konnten die Umweltorganisationen den Ausbeutungsbeginn um Jahre hinauszögern, indem sie den Baubeginn des teuersten privat finanzierten Unternehmens der Zeit, der 1.280 Kilometer langen Pipeline zum eisfreien Hafen von Valdez, erfolgreich blockierten. Ann Rothe, Mitarbeiterin der National Wildlife Federation (NWF) in Anchorage, erinnert sich an den grimmig geführten Kampf um die Realisierung des Projekts: „Wir wollten damals verhindern, daß Riesentanker mit hoher Geschwindigkeit durch den Prince William Sound fahren. Die tückischen Eisberge unter der Wasseroberfläche, die verheerenden Winterstürme — kein Argument der Ölindustrie konnte damals unsere Warnungen vor den drohenden Gefahren für die Umwelt entkräften.“ Da sich aber die kanadische Regierung für die Pläne einer mehrere tausend Kilometer langen Pipeline über ihr Territorium ebensowenig erwärmen mochte, wurde sie schließlich doch gebaut, die legendenumwobene Trans-Alaska- Pipeline; es bedurfte — welche Analogie der Ereignisse! — der „Ölkrise“ von 1973, um das Projekt politisch durchsetzbar zu machen.

Was versuchen Alaskas Entwicklungsgegner eigentlich zu erhalten, dort oben, wo sich Frühling, Sommer und Herbst auf die Monate Juni, Juli und August konzentrieren und wo sich von November bis Januar die Sonne erst gar nicht blicken läßt? Dem Besucher, der sich Ende Mai, Anfang Juni in diesen Breiten aufhält, offenbart sich ein Reichtum ganz anderer Art als der Fetisch Öl, von dem der Puls der Vereinigten Staaten vermeintlich so sehr abhängt: die arktische Tundra.

In einer kurzen, aber fruchtbaren Saison liefert das ANWR ein lebendiges Zeugnis eines gesunden Ökosystems: Der Boden ist übersät mit einem farbenprächtigen Teppich wilder Blumen, die blaßgrünen Tundragräser wiegen sich im Wind, Millionen von Zugvögeln bedecken, neben den hier beheimateten Enten und Gänsen, Teiche, Flüsse und Deltas. Wie eine Flut ergießen sich die hellbraunen Leiber der Porcupine Karibu-Herde über das flache Nichts, auf staksigen Beinen noch die Neugeborenen; 180.000 zählt allein diese Herde, die jeden Frühsommer drei Viertel des ANWR in Besitz nimmt, um hier zu kalben.

Bereits 1960 hatte die Kunde von der Zerbrechlichkeit dieses einzigartigen Biotops die Büroetagen der Kongreßabgeordneten in Washington erreicht — woraufhin der Gesetzgeber 3,5 Millionen Hektar, 1980 dann sogar 6,9 Millionen Hektar zum Naturschutzgebiet deklarierte: zum ANWR. Bezeichnenderweise schloß der Alaska National Interest Lands Conservation Act (ANILCA) dabei ein 0,6 Mio. Hektar umfassendes Areal nicht ein: die Coastal Plain.

Was steht auf dem Spiel? „Wir müssen uns schon entscheiden“, sagt Jay Hair, Präsident des NWF in Washington, „ob Alaska unser Nationalpark oder unser nationaler Öltank sein soll.“ Ausgenommen des besagten 170 Kilometer breiten Streifens im ANWR wurden bereits die gesamten 1.750 Kilometer Küste zwischen der kanadischen Grenze und der Lisburne Halbinsel an der Beaufort Sea für die Exploitation geöffnet.

Bohrschlamm mit giftigen Schwermetallen versickert in der Tundra

Nicht nur zahllose Bohrtürme schmücken Packeis und Tundra, zur Ölförderung gehören natürlich ein Geflecht von Rohrleitungen und aufgeschütteten Schotterpisten, Pump- und Versorgungsstationen, Flugplätze, ganze Batterien von Schlafcontainern für mehr als 3.000 Arbeiter und energieschluckende Freizeitkomplexe mit luxuriösen Schwimmbädern und Tennishallen, alles auf Stelzen. „Absolut sicher“ seien ihre Anlagen, beteuern die Betreiber immer wieder. „Nur modernste Technologie“ werde eingesetzt, um die „Einwirkung“ auf die Natur „auf ein Minimum zu begrenzen“.

Solcherart Versicherungen sind obsolet, wenn man bedenkt, daß seit Förderbeginn im Jahre 1973 17.000 kleinere und größere Fälle von auslaufendem Öl registriert wurden, sei es im Packeis, in den Terminals oder in den „todsicheren“ Tanks der 300 Meter langen Supertanker auf ihrem Weg zu den Raffinerien von Kalifornien. Allein im Jahre 1984 sickerten 200 Millionen Liter Bohrschlamm in die Feuchtgebiete am North Slope: giftige Substanzen wie Arsen, Mangan, Chrom, Blei, Kupfer und Benzol. Langzeitstudien haben erwiesen, daß es für das harsche, aber so sensible arktische Ökosystem kein Regenerieren geben kann.

Seit nun die modernen Goldsucher in den Startlöchern stehen, auch im Naturreservat ANWR ihre Claims abzustecken, drohen dem „Serengeti Nordamerikas“ harte Zeiten. Wie schon 1968 verspricht die Ölindustrie eine umweltschonende Ausbeutung, aber aus Erfahrung weiß man, daß der Öl-Mann Bush den Naturschützern längst nicht grün ist. Weder die regionale noch die Bundesumweltschutzbehörde verfügen über gesicherte Erkenntnisse hinsichtlich der Luftverschmutzung und ihrer Auswirkungen auf das ökologische Gleichgewicht in arktischen Breiten; beide Institutionen haben gerade erst angefangen mit der systematischen Erforschung der Folgen massiver Emissionen von Stickstoffoxiden in die arktische Luft. Wenig oder nichts ist bekannt über den berüchtigten „schwarzen Rauch“, der entsteht, wenn Öl aus frisch angezapften Feldern hochgepumpt und abgefackelt wird und dabei kilometerlange Rußschwaden in die Atmosphäre abläßt.

„Es gibt ein weit verbreitetes Mißverständnis hinsichtlich der Folgen von Probebohrungen“, erklärt uns George Frampton, Vorsitzender der Wilderness Society in Anchorage. „Nicht erst die Förderung, sondern schon die Entnahme von Bodenproben verursacht irreparable Schäden.“ Das leuchtet ein, denn um den wirklichen Umfang der vermuteten Schätze annähernd zu bestimmen und zu verorten, braucht es, so räumt ein Exxon-Geologe im Gespräch mit der taz bereitwilllig ein, mindestens hundert Bohrlöcher. Für ein einziges Bohrloch werden schon allein für Wege, Straßen und Flugpisten wegen des Permafrostes etwa 35.000 Kubikmeter Schotter in die Tundra gekippt — für die Arbeit im Sommer; im Winter erfordert die Operation dagegen bis zu 50 Millionen Liter Süßwasser, das aus zahllosen Teichen und zum Teil wasserarmen Flüssen der umliegenden Tundra für die Konstruktion von Eispisten und -straßen entnommen wird. All dieses vor dem Hintergrund zumindest einer gesicherten Erkenntnis: daß der Abdruck eines Autoreifens in der Tundra ein halbes Menschenleben überdauert.

Das Öl erstickt die Kulturen der Ureinwohner

In den Dörfern Nordostalaskas und des kanadischen Yukons fürchten die ursprünglichen Bewohner der Region um die Grundlagen ihrer auf Subsistenz ausgerichteten Lebenskultur. Sie sind abhängig von den Migrationen der Karibus, für ihre Nahrung und Kleidung. Zoologen und Biologen des US Fish and Wildlife Department haben schon zu Beginn der achtziger Jahre erforscht, daß eine Öffnung des ANWR gravierende Folgen für den Bestand der Porcupine-Karibu-Herde haben könnte; sie rechnen mit einer Dezimierung um 30 bis 40 Prozent. Zu annähernd gleichen Ergebnissen kommen die Wissenschaftler bei Moschusochsen und Polarbären, die auch die Coastal Plain bewohnen.

Während den Repräsentanten der Ölindustrie, wie immer bei solchen Fragen, nichts besseres einfällt, als den „Eingeborenen“ mit den Segnungen der weißen Kultur zu ködern, sie mit Dollar, Dosennahrung und Kabel-TV zu beglücken, beharren traditionelle Inupiat-Eskimos und Athapasca-Indianer immer wieder auf der Bedeutung ihres way of life. Nach jahrelangem Kampf war den 64.000 Ureinwohnern von ganz Alaska 1971 eine Entschädigung zugesprochen worden für das Land und seine Bodenschätze, die sie an die Industrie, vor allem an die großen Ölgesellschaften verloren hatten. 18Millionen Hektar Land bekamen sie damals und rund eine Milliarde Dollar. Inzwischen haben sich jedoch ohnehin viele weitgehend amerikanisiert und sich mit der Zeit an die „Vorzüge“ einer modernen Lebensweise angepaßt. Der Preis für den Fortschritt: Sie mußten die Jagd und den Fischfang aufgeben, unter anderem um den Treibstoff für ihre Zentralheizungen und Autos mit Bargeld bezahlen zu können. „Ich erinnere mich“, so ein etwa 40jähriger Inupiat, der auf dem Flugplatz von Deadhorse, dem Versorgungsstützpunkt von Prudhoe Bay, als Monteur angestellt ist, „wie mein Großvater mir immer von den Walfängern erzählte, an die Geschichten meines Vaters über die Pelzjäger und Fallensteller, und über den Zweiten Weltkrieg. Alles ging vorbei. Jetzt haben wir hier das Öl. Aber auch das wird wieder verschwinden. Ihr seid alle nur Besucher hier. Und wenn ihr bei uns nichts Wertvolles mehr finden könnt, geht ihr wieder weg. Und dann haben wir unser Land wieder nur für uns.“

Verschwenderische Energiepolitik ist wieder machbar

Irgendwann werden die Inupiat sicher wieder unter sich sein — aber nicht mehr die, die sie mal waren. Vor allem werden sie ihr Land nicht mehr wiedererkennen. Amerika wird nach der Devise: „Alles ist machbar, holen wir es uns, Mutter Natur wird's schon richten“ in gewohnt lässiger Anmaßung auch seinen letzten Rest unberührter Natur auf dem Altar eines vermeintlichen Fortschritts opfern. Es ist dies derselbe Machbarkeitswahn, mit dem schon die Goldsucher 1898 Alaska auf den Pelz rückten, derselbe anmaßende Optimismus, mit dem die Prospektoren 1968 in der Tundra um Prudhoe Bay herumstocherten, mit dem zwischen 1974 und 1977 die Schlagader des unnachahmlichen Booms, die Pipeline, realisiert wurde, und mit dem schließlich 1989 auch das beispiellose Großreinemachen im Prince William Sound nur als Herausforderung angesehen wurde.

Eine intakte Natur ist offenkundig kein Wert, ihr Schutz keine ethische Größe, die Bestand hat. Diese Haltung steht für die Konzeptionslosigkeit (auch) dieser US-Regierung in Sachen Energiepolitik. Gleichzeitig ist sie Ausdruck der Beliebigkeit, mit der schützenswerte, ja überlebensnotwendige Gebiete dieser Erde aufs Spiel gesetzt werden, nur weil man vorgibt, ein uneingeschränkter Zugriff auf die Ressource Öl sei geboten — schließlich tangiere dies die „nationale Sicherheit“. „Wir sollten nicht mal im Traum daran denken, sagt Jay Hair, „das Arctic Refuge zu verscherbeln. Dieses Land sollte endlich eine konsistente Energiepolitik formulieren, die auf Konservierung und Erneuerung vorhandener Ressourcen begründet ist. Solange uns als Antwort auf versiegende Energiequellen immer nur die Erschließung neuer Quellen einfällt, ist es wie mit Heroin: Der Stoff verschiebt zwar die Krise, macht sie im Endeffekt jedoch nur schlimmer.“