Schüler zwischen Jusos und Anarchos

■ Auf der 8. Delegiertenkonferenz der Bundesschülervertretung argwöhnten viele Schüler, daß es nicht um Inhalte, sondern um politische Karrieremacherei gehen würde/ Jungsozialist provozierte Protest

Köpenick. Während winzige Knirpse im Erdgeschoß des Freizeit- und Erholungsheimes Wuhlheide etwas frühzeitig Ostereier bepinseln, geht es über ihren Köpfen im ersten Stock um ihre Zukunft. Die Bundesorganisation der Schüler, die sogenannte Delegiertenkonferenz der Bundesschülervertretung (BSV), tagt in dem Zentrum in Berlin-Köpenick. Aus allen Teilen der Bundesrepublik sind Delegationen politisch aktiver Schüler angereist, die die Vereinigung von West- und Ost- Schülervertretungen vollziehen und sich auf ein gemeinsames Vorgehen in der Bildungspolitik einigen wollen — tatsächlich zankt sich im Tagungsraum der Haufen Älterer um ganz anderes.

Die Mischung der mehr als 100 Jugendlichen wirkt nicht mehr ganz so bunt wie in früheren Jahren — einige Punks, ein Palästinensertuch, aber viele aus jener Kaste der »Berufs-Jugendlichen«, und die provozieren ungewollt gleich einen Eklat. Als ein Jungsozialist ein Grußwort der SPD-Trainee-Organisation überbringt, verläßt etwa ein Drittel der Anwesenden mit ernsten Mienen den Saal und untermalt ihren Abgang unpassend mit etwas angejahrten »Wer hat uns verraten — Sozialdemokraten«-Rufen.

Die Stimmung ist schlecht an diesem Wochenende, und dafür gibt es vor allem einen Grund. »Die Diskussion hier geht nicht um Inhalte, sondern um Formalkacke«, bringt es bündig der 17jährige Niels Annen aus Hamburg auf den Punkt. Und tatsächlich, für die geplanten Arbeitsgruppen zu Themen wie Übernahme des Polytechnischen Unterrichts auch im Westen, Golfkrieg oder Mitbestimmung in der Schule bleibt keine Zeit mehr — eine Diskussion über die neue Satzung (mit 32 Änderungsanträgen) zieht sich zäh schon durch den zweiten Tag. Am Ende wird die neue Satzung dann abgelehnt.

So kommt es gar nicht erst zur Auseinandersetzung zwischen Ost- und West-Bildungsvorstellungen. Die Westler zeichnen sich dabei dadurch aus, daß sie etwas zu integrierend sind — Knut Jung aus Köln: »Man setzt sich nicht mehr so sehr als Ossi und Wessi auseinander, sondern um politische Positionen.« Oder sie schauen etwas zuwenig hin — Niels Annen (17) aus Hamburg: »Die Diskussionen im Osten sind noch nicht soweit, zum Beispiel was die Quotierung betrifft.«

»Zum Glück sehen das Ausschußkollegen nicht«

Leise, und deswegen wird sie wohl überhört, kommt die Kritik der Ost- Schüler. Solvig Finck aus Brandenburg (18): »Ich bin dafür, daß die Politik rausgehalten wird. Hier wird alles auf linker Seite formuliert.« Der Potsdamer Daniel Zeller (16), aktiv für Bündnis 90/Grüne: »Daß das jetzt so ausartet in linke Debatten, das geht mir am Hut vorbei. Das ist ja praktisch eine Diskussion zwischen Jusos und Anarchisten.« Welten liegen zwischen einer Rednerin aus Baden-Württemberg, die eine »internationalistische Schülerarbeit« fordert — und den VertreterInnen aus Thüringen, die »gegen die Quotierung« sind. An diesem Wochenende hätte die Chance bestanden, einander zuzuhören — aber »wir haben einmütig festgestellt, daß dieser Kongreß bisher scheiße verlaufen ist«, so eine Delegierte enttäuscht.

Die Bundesschülervertretung hat einen schweren Stand. Vom Bundesbildungsministerium nicht als Interessenvertretung anerkannt und finanziert — »Bildung ist Ländersache« —, haben die Schüler es trotzdem vor sieben Jahren geschafft, einen organisatorischen Überbau der Landesschülervertretungen aufzubauen. Doch er funktioniert wohl noch immer nicht so recht. In der Wuhlheide äußern viele enttäuschte Schüler den Verdacht, daß die Bundesorganisation einzig ein Durchlauferhitzer für Politkarrieristen ist. Einer, der es geschafft hat, war auch da: Eckart Kuhlwein, SPD-Bundestagsabgeordneter, Vorsitzender des Bildungsausschusses, vor zwanzig Jahren Landesvorsitzender der Jusos in Schleswig-Holstein. Er hatte gut reden und verteilte schlechte Noten: »Ich bin froh, daß meine Ausschußkollegen das hier nicht sehen.« Spricht's und fliegt schnell weiter nach Hamburg. Joachim Schurig