ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Die Vihuela - ein Instrument zwischen Laute und Gitarre

Wie kein anderes Instrument prägte die Vihuela die Musik der spanischen Renaissance und wenn es dort einen spezifischen, eigenen Klang dieser Epoche gab, so kam er aus dem hölzernen Corpus dieses mit sechs Doppelsaiten bestückten Zupfinstruments, das in seiner Form einer Gitarre ähnelte, in der Spielweise aber eher an eine Laute erinnerte. Ihre Qualitäten wurden allgemein gerühmt. „In der Vihuela ist die perfekteste und profundeste Musik. Sie ist hier idealer zu finden als in jedem anderen Instrument“, lobte ein Zeitgenosse und geriet, „ob der süßesten und weichsten Konsonanten, die das Ohr erfreuen und das Verständnis beleben“, ins Schwärmen. Der zarte Klang der Vihuela schien die ideale Entsprechung für eine Zeitempfindung zu sein, die der Musik eine Wirkung auf die Seele zusprach und dem Gefühl, vor dem Verstand, die Richterrolle über das Schöne zuerkannte. Die Musik der Vihuela sollte der „Unterhaltung“ des Geistes dienen.

Ihre Genese geht auf die mittelalterliche Fiedel — die Viola — zurück. Aus der Viola wurde in Spanien die Vihuela, die anfänglich noch als Vihuela de Arco, „mit dem Bogen“ gestrichen, dann als Vihuela de Mano, nur noch „mit der Hand“ gezupft wurde. Vor allem an den Höfen des Adels erfreute sie sich großer Beliebtheit. Vihuela-Virtuosen waren an den Residenzen angestellt, um der „müßigen Klasse“ die Zeit zu vertreiben und sie mit ihrer Kunst zu ergötzen.

Einer dieser Hofmusikanten, der wegen seiner Fähigkeiten bewundert und verehrt wurde, war Luis de Narváez, der bei Isabella von Portugal, der Gemahlin Kaiser Karl V., in Diensten stand und einer der hervorragendsten Saitenartisten seiner Zeit war. „In meiner Jugend“, schrieb Luis Zapata, ein Page der Kaiserin, „gab es in Valladolid einen Musiker namens Narváez, dessen Kunstfertigkeit in der Musik so außergewöhnlich war, daß er auf die vier Stimmen eines ausgeschriebenen Kontrapunkts vier weitere improvisierte. Das erschien jenen wundersam, die von Musik nichts verstanden,jedoch am wundersamsten jenen, die sich darauf verstanden.“

1538 veröffentlichte Luis de Narváez eine Sammlung von Vihuela-Stücken, die zum Vorbild für die ganze Epoche wurden. Er bearbeitete hauptsächlich beliebte Lieder und Madrigale, die er dem Saiteninstrument auf den Leib schnitt und ihre Melodien mit Ausschmückungen verzierte. Einen anderen Stil pflegte Luis Milán, einer der wenigen nicht-kastilischen Vihuela-Spieler, in dessen Fantasien und Tanzstücken improvisatorische Techniken Eingang fanden.

Dagegen handelt es sich bei Alonso Mudarra um einen Avantgardisten seiner Zeit, der in seine Kompositionen „einige falsche Töne“ einschmuggelte, wie er selbst zugab, die allerdings, wie er meinte, „gut gespielt, gar nicht so schlimm anmuten“. Und Enriquez de Valderrabano, ein Musiker, der sich beim Grafen von Miranda verdingte, komponierte kleine Miniaturen, die er Sonetas nannte, „kleine Melodien“ also (son = Melodie), welche nach der Art eines Tanzes auszuführen waren.

Christopher Wilson, ein Vihuela-Spezialist und ein Experte für die Interpretation von Saitenmusik der Renaissance, hat auf einer neuen Schallplatte Vihuela-Stücke dieser spanischen Meister aus verschiedenen Sammlungen zusammengetragen. Sein vorzügliches Spiel und seine Einfühlungskraft in die Musik läßt etwas von der Aura dieser Zeit fühlbar werden. Flinke Läufe, raffinierter Kontrapunkt, klare Akkordfolgen, grazile Verzierungen sowie wunderbare Melodien voller Logik und Schönheit machen diese Musik zu einer hochkultivierten Klangkunst, die eine stille Intimität zwischen Hörer und Musiker erzeugt.

Aus diesem Grunde scheint das Wehgeschrei Sebastián de Covarrubias' aus dem Jahre 1610 über das Verschwinden dieses Saiteninstruments der Renaissance verständlich: „Die Vihuela wurde zu unserer Zeit hoch geschätzt und von ausgezeichneneten Musikern gespielt, aber nachdem die Gitarre erfunden war, haben sich nur noch wenige dem Studium der Vihuela gewidmet. Das ist ein großer Verlust, da jede Art geschriebener Musik darauf gespielt werden konnte und die Gitarre nun nichts als eine Kuhglocke ist, die insbesondere in der geschlagenen Manier so leicht gespielt werden kann, daß es keinen Stallknecht mehr gibt, der nicht Gitarrist wäre.“

Christopher Wilson: „Vihuela Music of the Spanish Renaissance“ (Virgin Classics VC 7 91136-2)

DIEVIHUELA—EININSTRUMENTZWISCHENLAUTEUNDGITARRE