Weizsäcker will nicht allein nach Berlin

Der Bundespräsident macht in einem Schreiben an die Fraktionen für Berlin als Regierungssitz mobil: Er will nicht zur „Dekoration einer sogenannten Hauptstadt“ dienen  ■ Aus Berlin Kordula Doerfler

Die Diskussion um den Sitz von Regierung und Parlament im geeinten Deutschland hat sich am Wochenende zugespitzt. Bundespräsident Richard von Weizsäcker beglückte die Partei- und Fraktionsvorsitzenden in Bonn mit einem achtseitigen „Memorandum“, in dem er sich erneut klar auf die Seite Berlins schlägt - so der 'Spiegel‘. In dem Schreiben weist Weizsäcker zwar darauf hin, daß er jeden Beschluß des Gesetzgebers akzeptieren werde; andererseits läßt er keinen Zweifel daran, daß er allein „zur Dekoration einer sogenannten Hauptstadt, der alle anderen Verfassungsorgane fernbleiben“, nicht dienen will. Der Bundespräsident fordert eine rasche Entscheidung, die aber nicht sofort umgesetzt werden müsse.

„Große Möglichkeiten“ für eine Aufteilung der Verfassungsorgane zwischen beiden Städten sieht Weizsäcker nicht. „Ich glaube, daß man eine Stadt nur Hauptstadt nennen kann, wenn wenigstens zwei Verfassungsorgane dort residieren und arbeiten.“ Eigentlich will Weizsäcker Bundestag und Bundesregierung in Berlin amtieren sehen, so kann man aus früheren Äußerungen schließen. Aber auch Bundesrat und Verfassungsgericht sind „Verfassungsorgane“, durch deren Umzug der Präsident offenbar zufriedenzustellen wäre. Zur Frage der Umzugskosten, die in der Debatte immer wieder angeführt werden, resümiert der Präsident, der Umzug sei teuer, aber noch teurer sei es, Berlin Funktionen vorzuenthalten. Auch die Bundesregierung wird subtil, aber unmißverständlich aufgefordert, sich für Berlin und dessen europäische Rolle zu entscheiden: Ihre Aufgabe sei es, „den langfristigen politischen Weg in die Zukunft zu weisen“.

Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), der gemeinsam mit dem Koalitionspartner SPD verzweifelt für die Verlegung des Regierungssitzes nach Berlin kämpft, fand in der Hauptstadtdebatte zu ersten Mal harte Worte. In „seiner großen politischen Phantasie“, so Diepgen, könne er es sich durchaus vorstellen, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, sollte sich der Bundestag für Bonn entscheiden. Diepgen räumte aber ein, daß die Entscheidung in erster Linie eine politische und keine juristische sei. Bis 1995, forderte der Berliner Regierungschef, sollten Bundespräsident, Regierung und Parlament in Berlin sein.

Auf die Seite der Berlin-Befürworter schlug sich am Wochendende Niedersachsens Ministerpräsident Schröder (SPD). Er plädierte für einen Umzug innerhalb von zehn bis 15 Jahren und für einen Volksentscheid. Berlin-Gegner Horst Ehmke (SPD) dagegen kritisierte den Vorstoß des Bundespräsidenten als „Affront“ und den Versuch, die Entscheidung zu präjudizieren.