Das verlorene Paradies der DDR-Feministinnen

Der Unabhängige Frauenverband (UFV) sucht nach einem neuen Selbstverständnis/ Konflikte zwischen „Polit- und Projektefrauen“/ Eine Partei wollen die Frauen auf keinen Fall werden/ Redeverbot für Westlerinnen  ■ Aus Leipzig Ulrike Helwerth

Unabhängiger Frauenverband? Gibt's euch überhaupt noch? Cornelia Matzke, UFV-Abgeordnete im sächsischen Landtag, ist nicht die einzige, die sich solchen Fragen immer wieder stellen muß. Um den Unabhängigen Frauenverband, von Tausenden von Frauen im Dezember 1989 mit großer Euphorie gegründet, ist es still geworden — wie um die anderen Bürgerbewegungen der einstigen DDR auch. Vorbei die Zeiten, als die Medien um Interviewtermine Schlange standen und Pressefrauen scharenweise auf den Veranstaltungen auftauchten. Vom „Aufbruch der Frauen“ ist nur ein kleiner Trupp übriggeblieben. 170 Teilnehmerinnen folgten der Einladung zum 2. Mitgliederkongreß des Verbandes am Wochenende nach Leipzig — darunter ein Dutzend „Westfrauen“. Auf der Tagesordnung standen eine Bestandsaufnahme und die Fragen: Was wollen wir voneinander und wie schaffen wir es miteinander?

Nachdem der Ausnahmezustand der Übergangs-DDR vorbei ist, alle Wahlen gelaufen sind, werden nun die politischen Unterschiede unübersehbar. Vorauszusehen war das. Schließlich war der UFV von Anfang an ein breites Bündnis, Vielfalt war nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht. Auf der Basis eines feministischen Minimalkonsenses rauften sich autonome Frauen und Parteifrauen, Christinnen und Atheistinnen, Lesben und Heteras zusammen und einigten sich in grundlegenden Fragen (etwa zum Schwangerschaftsabbruch oder zur Beteiligung an den Wahlen) immer wieder auf einen mehrheitsfähigen Kompromiß. Aber nicht erst seit dem 3. Oktober 1990 haben sich viele Frauen aus dem Verband zurückgezogen — ausgepowert und resigniert, weil im vereinigten Deutschland die „Vision einer feministischen Gesellschaft“, die im Herbst 1989 „machbar“ schien, in weite Ferne gerückt ist. „Die Alt-BRD ist ein frauenpolitisches Entwicklungsland“, stellt die UFV-Bundestagsabgeordnete Christina Schenk in einem Kongreßpapier fest. Der „Anschluß“ an die BRD bedeute für die Frauen der DDR „die Installation patriarchaler Verhältnisse ganz anderer Dimensionen“. Und eine Vertreterin der Berliner „Lila Offensive“ meint gar: „Die DDR war ein feministisches Paradies im Vergleich zu dem, was wir jetzt in der BRD erleben.“ Dies bleibt unwidersprochen. Nur ein paar „Westfrauen“ murren über diese Sicht der Dinge leise. Rederecht haben sie im Plenum nicht. Der Koordinierungsrat hatte nämlich offenbar aus Angst vor Überheblichkeit und Redegewalt der Schwestern von drüben beschlossen, sie dürften nur als „stumme Zeuginnen“ am Kongreß teilnehmen.

Aber damit ist die Einigkeit der „Ostfrauen“ schon beinahe erschöpft. Der längst gärende Streit zwischen „Politfrauen und Projektefrauen“ bricht offen aus. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die als Abgeordnete in Bundestag, Landtagen und Gemeinderäten den UFV beziehungsweise die Interessen ihrer „abgewickelten“ Landsfrauen vertreten oder zumindest zur Sprache bringen wollen, obwohl die meisten, wie Christina Schenk, längst erfahren haben, daß sie dort als Einzelkämpferinnen auf ziemlich verlorenem Posten stehen. Auf der anderen Seite kritisieren Frauen aus autonomen Gruppen und Projekten, daß der UFV zu viele Kräfte in der Vergangenheit auf Wahlen und parlamentarische Arbeit ausgerichtet und dabei sein „außerparlamentarisches Standbein“ verloren habe.

Eine Teilnehmerin aus Jena berichtet, daß der Kontakt zur UFV- Gemeinderatsabgeordneten und der Gleichstellungsbeauftragten abgebrochen sei. „Sie kommen nur noch, wenn wir sie bitten.“ Die Kommunikation zwischen den einzelnen Gruppen des UFV sei denkbar schlecht. Eine Klage, die auch andere immer wieder vorbringen. Daß die Informationen so schlecht fließen, liegt aber offensichtlich nicht allein an der Organisationsstruktur und der Arbeitsüberlastung von Landesbüros und Berliner Zentrale. Denn auch zwischen einzelnen Gruppen gibt es teilweise massive Verständigungsprobleme darüber, was feministische Politik überhaupt ist, wie sie gemacht werden soll. Während die einen auf „Gynergie“ und lesbische Lebensformen als Antwort aufs Patriarchat setzen und weitestgehende Autonomie, zum Beispiel auch von korrumpierender „Staatsknete“, fordern, orientieren sich andere an herkömmlichen Politikformen, plädieren für Einmischung in alle Institutionen und verlangen ihren gerechten — auch materiellen — Anteil an gesellschaftlicher Macht. — So heftig verschiedene Positionen auch aufeinanderprallen, die Bereitschaft zur Verständigung ist doch da. Denn der UFV habe noch immer eine wichtige Aufgabe als Sprachrohr und Vernetzungshilfe für die „Ostfrauen“, wie die Teilnehmerinnen hoffen. Mit großer Mehrheit wird beschlossen, daß der UFV seine Unabhängigkeit bewahren und nicht in den Bürgerbewegungen aufgehen soll, wenn im Oktober dieses Jahres sich auch die Gruppen der ehemaligen DDR nach bundesdeutschem Parteiengesetz restrukturieren müssen. Denn, so Christina Schenk unter Beifall: „In den anderen männerorientierten Verbänden ist feministische Frauenpolitik unmöglich.“

Wie diese Politik aber zukünftig aussehen soll, darauf blieb der Kongreß die Antwort schuldig. Die einen verlangen nach Hektik und Hast eine Phase der Besinnung, eine „Klärung der innerlichen Befindlichkeit“ — und damit verbunden eine Revision der Verbandsstrukturen, die von manchen als zu hierarchisch und bürokratisch empfunden werden. „Wir machen Nabelschau, während es draußen brennt“, kritisieren diejenigen, die den UFV schnell wieder in die politische Diskussion und die Öffentlichkeit bringen wollen. Was allen auf den Nägeln brennt, ist die neuentfachte Debatte um den Paragraphen 218. In einem Beschluß bestätigt der UFV seine alten Forderungen: Streichung des Paragraphen 218, das Selbstbestimmungsrecht von Frauen muß im Grundgesetz verankert werden, keine Fristenlösung, keine Zwangsberatung, statt dessen bedarfsdeckende Beratungsstellen, kostenlose Abtreibung in ambulanten Abtreibungspraxen und kostenlose Verhütungsmittel.