Und im Wald da sind die...

■ Ortstermin in der Thüringer Asylsammelstelle Tambach-Dietharz/ Die Asylbewerber: „We are no animals“/ Die Heimleitung: „Die Herrschaften wollen Weißbrot“

Zum Unterhaltungsservice des Fahrers gehört die Polonaise von Blankenese. Sie jubelt dezent durch den Bus. Die Polonaise und der Thüringer Wald nehmen kein Ende: Der Thüringer Landtagsausschuß für Soziales und Gesundheit reist nach Tambach-Dietharz. Ziel der Informationsfahrt: das Asylaufnahmezentrum des neuen Bundeslandes, die ZAST. Ein Landtagsmann dekodiert: Zentrale Asylanten-Sammelstelle Thüringen.

Die ZAST, ein mächtiger Komplex tief im Wald, war einst Ferienlager der Erfurter Microelektronik (ERMIC). Heute von der Landesregierung gemietet, werden dort die aus den Altbundesländern zugewiesenen Asylsuchenden vorübergehend untergebracht. Hier verbleiben sie meist vier Wochen, bevor sie in die Kommunen weiterverschoben werden.

Ein mittleres Polizeiaufgebot wacht vor dem Speisesaal. Drinnen reihen sich die Asylbewerber mit Protesttrommel und Schildern auf: „We are not animals, the food is not good!“ Der Empfang verläuft ansonsten harmonisch. Energisch fragt die grüne Landtagsabgeordnete Christine Grabe nach den Gründen für das Polizeiaufgebot. „Wir wollten bestimmt keine Türken bauen“, erklärt der bayerische Leihbeamte Berger, im Thüringer Innenministerium derzeit für Asylfragen zuständig. „Die Ilmenauer Erfahrungen lagen zugrunde. Von dort mußten wir kürzlich fliehen, in drei Fahrzeugen. Auch hier ist schon wieder ein Asylbewerber am Werke, der die Revolution anzetteln möchte.“

Anschließend die Führung durch das Objekt. Herr Liebl, der ebenfalls von der ERMIC ausgeliehene Heimleiter, hat sich eingefunden. Die Unterkünfte sind zwar etwas kahl, sie entsprechen dem einstigen DDR-Ferienheimstandard. Orientalische Töne dringen aus den Fenstern. Fremde Gesichter auf allen Fluren.

Ungenießbares für Kinder mit Bronchitis

Eine rumänische Asylbewerberin wird zum Dolmetschen herbeigerufen. Haupttenor aller Klagen — das Essen. Ungenießbar sei es, erklärt ein Afghane. Die Kinder, besonders die afrikanischen, die wegen des strengen Klimas unter Bronchitis leiden, brächten keinen Bissen hinunter. Lieber würden sie hungern. Heimleiter Liebl nimmt alles sehr persönlich. Gar nicht mehr lieb erklärt er: „Die Herrschaften fordern sogar Weißbrot und Brötchen.“

Ein weiteres Problem: die Einsamkeit. Vier Kilometer sind es bis zum nächsten Ort. Hier weiß die Krankenschwester der Sammelstelle Rat: „Asylbewerber haben viel Zeit; sie können, so oft sie wollen, mit ihren Kindern zum nächsten Ort spazieren.“ Mitten im Winter? Das Taschengeld von 1,50 Mark pro Kopf reicht nicht einmal für einen Kaffee. Doch die Bevölkerung des benachbarten Katzhütte will erstaunt darüber gewesen sein, wie neulich von Asylbewerbern einen 1.000-Mark- Schein gewechselt wurde. Nein, weder Herrn Liebl noch der Schwester kann man etwas erzählen. Sie kennen ihre Pappenheimer.

Ein schwarzer Mann nimmt mich beiseite. „Für 60 Männer nur ein Duschraum.“ Die Bettwäsche werde nur alle acht Tage gewechselt, so eine andere Klage. Thüringen sei nicht schön; drüben, in den Altbundesländern, sei alles besser. Die Abgeordneten bemühen sich um Verständnis. Für sie ist die Problematik ebenso neu wie für die Asylbewerber. Die beiden Beamten des Sozialministeriums, Dittmeier aus Bayern, Blohm aus Hessen helfen mit ihrer Kompetenz. Sie klären ab und auf, erläutern gesetzliche Grundlagen und geben ihre eigene langjährige Erfahrung weiter.

Dann aber ergreift doch noch Fassungslosigkeit die Anwesenden. Ein Afghane taucht auf, der seine Unterbringung in Offenbach schildert: Hotelaufenthalt, mit all seinen Kindern. Schon früh Eier und Schinken, jeden Tag ein halbes Huhn und sechs Salate. Eine Debatte darüber wird durch das Mittagessen abgewürgt. Die Abgeordnete Christine Grabe schlägt vor, die Mahlzeit nicht wie geplant im Separee, sondern im Speisesaal gemeinsam mit den Asylbewerbern einzunehmen — um vor Ort den Vorwürfen nachzugehen, wie sie sagt. Ihr Vorstoß findet kein Gehör; man tafelt wie geplant. Auch der Presse gelingt es nicht, bis zu den Fleischtöpfen vorzudringen. Die aber seien, so Herr Berger, bis oben hin voll mit Forderungen der Asylbewerber. Er hebt den Speiseplan hoch: Reis, Fisch, Fleisch, Kartoffeln. Die Flüchtlinge aus den 30 Ländern im Thüringer Wald plagt ein anderer Hunger.

Henning Pawel