Bunte Welt des Sakraments

■ Die Obsessionen der Sabina Maria van der Linden im »Dead Chickens Warehouse«

Hank Williams hören und Canadian Club trinken, mit noch mehr knochentrockener Country-Music und noch mehr »Rye und Whiskey« das Hirn weiß und leer brennen, gelegentlich flackern noch blaue Alkoholflämmchen über die Hirnrindenwüste — und dann endlich beginnen die Farben unerträglich zu strahlen. Bewußtsein ätzt die niedlichen Menschlichkeitsschleier glatt weg, im Schädel dröhnt das infernalische Gelächter einer Horde durchgedrehter Latten-Jupps (der Kollege vom Kreuz, genau), die unter einem dieser psychedelischen Armaggedon-B-Film-Himmel auf den viruszerfressenen Fratzen von Zivilisation und Fortschritt einen irren Steptanz vorlegen. Was für ein überwältigendes Breitwand-Delirium!

Einen kleinen Teil dieses Panoramas füllen die Werke Sabina Maria van der Lindens (SMVDL) aus, die zur Zeit im »Dead Chickens Warehouse« zu sehen sind. Als hätte eine extrem giftige Säure den Nebel mildtätiger Illusion zerstört, geben die Gemälde und Fotografien den Blick frei auf: menschliche Sexualität. In jeder nur vorstellbaren grotesken Form. Da gibt es Homosexuelle beiderlei Geschlechts in Aktion, zu zweit, zu dritt, Hamilton-Nymphchen schlagen ihren Urin ab, eine Hohepriesterin des Fleisches — üppig wallt das Fett — hält dürre Jungs an der Hundeleine, kotfressende Vatis und Onkels knien demütig und empfangen das Sakrament, Korsagen, »high heels«, Fesselungen — alles da! Und was man mit Padre Penis, altem Vater Pein, so alles anstellen kann: nicht nur irgendwo reinstecken, sondern auch mal ausreißen, mitsamt Haut und Muskelgewebe und dem schön-roten Geflecht der Blutgefäße.

Es sollte aber insbesondere wegen dieser Ikone niemand auf die Idee kommen, SMVDL würde, in das Tao der Hirnakrobatik versunken, Blaupausen für diese oder jene Rationalisierungsfraktion polymorpher Perversionen entwerfen. Hier ist pure, freie Vorstellungsgewalt am Schaffen, in grellen Acrylfarben und klaren Konturen, und kein Entweichen vor den Ensembles in dämmrigdeutsche Metaphern-Hochkultur. Der erste Eindruck erinnert an Comic-Zeichnungen in der Nachfolge Tom of Finlands, verschiedene RezensentInnen bemühten Popart (paßt immer) und Surrealismus (wohl wg. Libido und Unbewußtem). Mir fallen noch die klinisch-sterilen und detaillierten Fotografien aus diversen medizinischen Publikationen — absonderliche Unfälle, seltene Krankheiten, rätselhafte Morde — zum Vergleich ein. Nur die bunten, klar. Am ehesten aber läßt sich das SMVDLsche Oeuvre wohl in der glorreichen Tradition von — insbesondere amerikanischen — Sexploitation-Produktionen verstehen. Die ganze Fleischbeschau sekundärer Geschlechtsmerkmale und bizarrer Witz.

1987 hatte die van der Linden eine Ausstellung in Düsseldorf — was ihr einige Pressestimmen aus dem linksliberalen Medienspektrum einbrachte, nebst der Frage: Wie kommt eine Frau dazu, solch pornographische Bilder zu fertigen? Die Antwort fand man schnell in der Vita der Künstlerin. Im eher liberalen Holland geboren und aufgewachsen (die protestantischen Eltern wurden wohl des aufklärerischen Effekts wegen zu Katholiken erklärt), kam SMVDL 1978 nach Berlin. Hier sei die schmucke Blondine bald den — üblichen — Drogen verfallen, rackerte sich in einigen Bars hinter dem Tresen ab (kam dadurch Jahre später zu 'Zitty‘-Covergirl-Ehren) und gab sich dann der Hurerei hin (womit der Ablauf der wirklichen Ereignisse ins Gegenteil verkehrt wurde). JournalistInnen besuchten SMVDL in ihren Wohnungen und schrieben wortreiche, expressionistische, schwarzromantische Schauer-Sozialreportagen: Die Frau war als Kind von ihrem Onkel vergewaltigt worden, hatte eine Totgeburt und eine zerrüttete Teenager-Ehe hinter sich, nahm Drogen und war summa summarum dazu verdammt, Hure zu sein, Opfer des üblen Systems. Ihre, nur zu verständlichen, Aggressionen bannte sie in diesen überaus verstörenden Gemälden. Soweit das Sozialarbeitermodell.

In Deutschland schien SMVDL kein größerer Erfolg mit ihren Arbeiten beschieden. Auf Anregung von Freunden schickte sie einige ihrer Zeichnungen an verschiedene Porno-Publikationen — und erzielte Resonanz insbesondere im homosexuellen Lager, »die Schwulen haben eben eine Tradition künstlerischer Pornographie« (SMVDL). Eine Domina-Serie wurde als Illustration zu einem S/M-Porno (Zoten-Zofen) 1985 im Nürnberger Odörfer-Verlag publiziert. Die »Lolitas« engagierten das Systemopfer für ein Cover. Das war's.

Kurz nach der Wiedervereinigung wanderte SMVDL in die USA aus. Dort wurde sie zunächst einmal drei Tage am Flughafenzoll festgehalten, bis sich die Beamten entschieden hatten, daß es sich bei den von ihr eingeführten Bildern und Fotos um Kunst handelt. In New York arbeitet die Künstlerin als Domina — Spezialgebiete: »Smoddering«, sie schlägt dem Kunden ihr Gesäß ins Gesicht und drückt ihm die Luft ab, und »Shitting«, »na ja, die Puffmutter hat halt so Pillen, und dann geht das mit dem Scheißen ganz schnell. Die meisten wollen ja nur schnuppern. Die kommen in der Mittagspause von der Wall Street und können sich in der kurzen Zeit nicht hinterher noch den Mund desinfizieren.« Ihre Arbeiten werden nun in der weltweit größten Porno-Nachrichten-Zeitung 'Screw‘ (absolut empfehlenswert!) publiziert, außerdem in Avantgarde/ Subkultur-Magazinen. Und, sie malt für Auftraggeber, »da ist dieser Typ, der verlangt nur gekreuzigte Vietnamesinnen. Solche Wünsche kannst du mit Fotos nicht befriedigen, zum einen gibt es Probleme mit den Models — und da ist er noch harmlos im Vergleich zu anderen —, und zum anderen bieten Fotos auf die Dauer einfach nicht genug Abwechslung. Malerei aber ..., da gibt es nur Beschränkungen in deiner Phantasie.« Die auch in der »Dead-Chickens- Warehouse«-Ausstellung gezeigte Fotoserie Hochsicherheitstrakt: Abteilung Nutten und Schlampen — eine Variation des beliebten Frauengefängnis-Genres — brachte ihr den Ruf des »weiblichen Joel Peter Witkin« ein. R. Stoert

Sabina Maria van der Linden im »Dead Chickens Warehouse«, Schinkestraße 2, 1/44, heute um 19 Uhr. Bis 19.4. Di-Sa, 14-19 Uhr.