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»Es ist besser so«

■ Die taz befragte Ostberliner in der Leipziger Straße zur Abreise Erich Honeckers in die Sowjetunion

Rentnerin (75): Was will denn der dort, das ist ja unerhört. Der hat soviel Unglück über uns gebracht und zieht sich jetzt so aus der Affäre. Für uns ist das so bittere Wahrheit. Mir selber steht es bis oben hin. Und der fliegt nun nach Moskau.

Arbeitsloser Ingenieur (27): Ich bin verwundert. Kann der denn selber darüber entscheiden? Aber richtig finde ich das nicht, weil der noch einen Prozeß zu laufen hat. Er ist schließlich auch verantwortlich dafür, daß hier viele in den Knast gekommen sind.

Student (26): Davon habe ich noch nichts gehört. Alle Welt hält sich an Erich Honecker auf, aber er war nicht der einzige. Man darf nicht vergessen, daß eigentlich jeder, der in der ehemaligen DDR gelebt hat, zu einem gewissen Grad mitbeteiligt ist an dem Dilemma.

Arbeitslose Dolmetscherin (55): Wenn er sich im Recht fühlt, sollte er sich auch den Vorwürfen stellen. In gewisser Weise läßt er seine Mitstreiter auch im Stich.

Revisor (27): Das gibt wieder Verwicklungen, da kommt Unruhe rein. Aber einer allein kann für 40 Jahre nicht verantwortlich sein.

Ingenieur (58): Bin erstaunt, daß das ohne Vorankündigung einfach passiert. Daraus ist zu entnehmen, daß die sowjetische Seite in Abstimmung mit der Bundesregierung irgendwelche Aktivitäten eingeleitet hat. Ich würde es als negatives Moment betrachten, weil er als Bürger der DDR nicht einfach sein Land verlassen kann.

Exportkaufmann (57): Der ist wohl aus Krankheitsgründen gefahren. Ganz astrein ist das sicher nicht. Der müßte sich auch der Verantwortung stellen, wie viele andere. Eine Bestrafung dürfte man in dem Alter nicht mehr zulassen.

Historiker (30): Ich bin sicher, daß der Generalsekretär in Moskau eine Exilregierung bilden will. Wenn das hier so weiter geht, kann das Projekt sogar Erfolg haben.

Techniker (43): Es ist besser so. Ich glaube nicht, daß ein Prozeß gegen Honecker die Ergebnisse bringen würde, die sich die meisten Ex- DDR-Bürger wünschen. Umfrage: kotte

Siehe auch Berliner Thema S. 31

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