Vaclav Havel von slowakischen Nationalisten tätlich angegriffen

Bratislawa (taz) — In der Tschechoslowakei geht die Zeit der „samtenen Revolution“ zu Ende. 16 Monate nach dem historischen 17. November 1989 kam es erneut zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Doch nun prügelt nicht mehr die Staatsmacht auf friedlich demonstrierende Studenten ein. Jetzt sind es die radikalen Anhänger der „Slowakischen nationalen Einheit“, die in Bratislawa Präsident Vaclav Havel und seinen Stab angriffen.

Eine Gruppe von mit Fahnenstangen bewaffneten Nationalisten drang auf Havels Troß ein, als dieser auf dem Weg auf die Preßburg war. Passanten kamen Havel zur Hilfe. Die „Flucht“ aus Bratislawa gelang dem als „Prager Judaisten“ beschimpften Präsidenten nur mit Hilfe eines Polizeikordons. Noch lange danach ertönten die Sprechchöre „Wir haben genug von Havel“.

Havel wollte einen kurzfristig angesetzten Besuch in der Slowakei nutzen, um die Situation zu entspannen. Aber am 14. März, dem Tag der Proklamation des „unabhängigen“ slowakischen Staates 1939, wurden die Emotionen in zwei rivalisierenden Kundgebungen hochgepeitscht: am Donauufer hatten sich 2.000 „Tschechoslowaken“ versammelt, um dort für den Erhalt der Föderation einzutreten, wenige hundert Meter entfernt feierten 3.000 Nationalisten das Andenken an den klerikalfaschistischen Präsidenten Tiso.

Havel sprach sich später im Fernsehen für ein Referendum über die Unabhängigkeit aus. Er warnte vor einer Unabhängigkeitserklärung durch das slowakische Parlament. Damit würde eine lange Periode wirtschaftlicher und sozialer Instabilität, eine lange Periode des Leidens und der Anarchie eingeleitet. Aus ihr werde es nur einen einzigen Ausweg geben: die nationalistische Diktatur. Denn in einem Land, in dem die Gesetze nicht mehr gelten, sei alles möglich.

Sabine Herre