„Magerquark mit Rosinen“

Umweltschützer und Frauen kritisieren die rot-grünen Koalitionsvereinbarungen in Hessen Auf dem Parteitag am Sonntag entscheiden die Grünen über Koalitionsprogramm und MinisterInnen  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Die Parteispitze der hessischen Grünen hat ihre Hausaufgaben erledigt: Die Koalitionsvereinbarungen sind unter Dach und Fach, die MinisterInnen und StaatssekretärInnen benannt und auch die Fraktion hat sich eine neue Führungsspitze gewählt. Ausgearbeitet hat das Ganze die Verhandlungskommission der Grünen in Zusammenarbeit mit der Landtagsfraktion der hessischen Grünen. Daß die Landesmitgliederversammlung, auch als „Lehrerkonferenz“ bezeichnet, am Sonntag in Darmstadt dieses Verhandlungsergebnis mit großer Mehrheit absegnen wird, bezweifelt in Wiesbaden kein Mensch. Schließlich haben die „Realos“ in Hessen in den letzten Jahren auf ihren Parteitagen immer mit satten Mehrheiten für ihre pragmatische politische Linie im Handgepäck wieder beruhigt nach Hause fahren können.

Doch ganz so glatt wie von der Parteispitze prognostiziert wird der Parteitag morgen doch nicht über die Bühne gehen. Unmut hat sich an der Basis angestaut. Daß die Koalition nicht mehr auf dem offenen Markt ausgehandelt werden sollte, war zwar als Grundvoraussetzung für die gewollten „erfolgsorientierten Verhandlungen“ (Fischer) allgemein akzeptiert worden, doch ganz so „top secret“ wie es in den sechs Verhandlungswochen im Hotel Mönchbruchmühle zuging, sollte es denn doch nicht ablaufen.

Mitte Februar hatten die Kreisverbände bereits gemurrt: „Wir haben nur scheibchenweise aus den Zeitungen erfahren, was gerade verhandelt wurde“. Zum gründlichen Studieren des umfangreichen Ergebniskataloges bleibt den Grünen kaum noch Zeit, denn kein Mitglied wird das dicke „Koalitionsbuch“ als Entscheidungsgrundlage mit nach Darmstadt nehmen können.

Unter den von der Parteispitze ausgewählten Kandidaten ist Rupert von Plottnitz (50), Rechtsexperte der Landtagsgruppe. Er wird den Grünen im Landtag in der zweiten sozial- ökologischen Ära als Fraktionschef vorstehen, und die Abgeordnete Karin Hagemann aus Gießen wird seine Stellvertreterin werden. Reinhold Weist aus Kassel, bisher bei der Postenvergabe erfolglos, schaffte es überraschend, zum parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion gewählt zu werden. Gleichfalls problemlos verständigten sich die Grünen auf die Abgeordnete Evi Schönhut-Keil für das Amt der Vizepräsidentin des hessischen Landtags.

Inhaltlich kommt Kritik an den Koalitionsvereinbarungen vor allem von der grünen Klientel im Umwelt- und Naturschutzbereich. Als „Magerquark mit Rosinen“ bezeichnete sie etwa der BUND-Naturschutz. So sei die Einrichtung der seit langem geforderten Landesanstalt für Ökologie „leider erneut verschoben“ worden. Kein Wort hätten die Koalitionäre über die „längst überfälligen Personal- und Finanzumschichtungen im Naturschutz“ verloren, und planungsrechtliche Möglichkeiten bei der Vermeidung und Verwertung von Abfällen seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Dennoch kommt der BUND insgesamt zu einem überwiegend positiven Urteil: „Die Koalitionsvereinbarungen wecken Hoffnungen, weil sie in vielen Einzelaspekten richtungsweisende Aussagen treffen.“

Unzufrieden sind auch die Bürgerinnen und Bürger im südhessischen Ried. Bei einem Regierungswechsel in Wiesbaden hatten sie mit einem raschen Ende der Planungen für den dritten Giftmüll-Verbrennungsofen der Hessischen Industriemüll GmbH (HIM) in Biebesheim gerechnet. In den Koalitionsverhandlungen konnten die Grünen der SPD aber keinen generellen Verzicht auf den dritten Giftmüllofen der HIM abringen. Immerhin soll mit einem Biomonitoring die Gesamtbelastung des Rieds mit Schadstoffen untersucht werden, um Entscheidungsgrundlagen für oder gegen den Ofenbau zu erhalten. Darüber hinaus soll geprüft werden, ob die unter der CDU/FDP-Landesregierung geplante Anlage dem neuesten Stand der Technik entspricht. Im direkten Gespräch mit den Betroffenen kündigten der designierte Umweltminister Joschka Fischer und seine Staatssekretärin Ulrike Riedel am Mittwoch eine Verschiebung des noch unter der Ägide von Umweltminister Weimar (CDU) angesetzten Erörterungstermins an, denn „wir brauchen noch Zeit, um alles intensiv zu prüfen“ (Fischer). Das Gespräch, berichtete die Bürgerinitiative, habe in „offener, entspannter Athmosphäre“ stattgefunden.

Auch die grünen Frauen beschweren sich: Die Aufteilung in ein Ministerium für Frauen und Arbeit (Heide Pfarr, SPD) und ein Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit (Iris Blaul, Grüne) mache wenig Sinn, meinte Regine Walch, Frauenreferentin des Landesvorstandes der Grünen. Sie führe nur dazu, daß Frauen wieder „unter erschwerten Bedingungen“ arbeiten müßten und eine Konkurrenzsituation entstehe. Selbstverständlich seien die Frauen bei den Grünen auch „sauer“ darüber, daß das Frauenressort an die SPD gefallen sei. Auf dem Parteitag wollen sich die Frauen den Frust von der Seele reden, aber auch „nach vorne“ diskutieren. Der Frauenbereich in beiden Ministerien müsse jetzt materiell und ideell gestärkt werden.