Schüsse waren kein Mord

■ 2. November 1987: Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik fielen aus einer Demonstration heraus Schüsse gegen Polizisten, zwei von ihnen starben. Das Frankfurter Schwurgericht verurteilte gestern die...

Schüsse waren kein Mord 2. November 1987: Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik fielen aus einer Demonstration heraus Schüsse gegen Polizisten, zwei von ihnen starben. Das Frankfurter Schwurgericht verurteilte gestern die beiden Hauptangeklagten zu fünfzehn und viereinhalb Jahren — wegen Totschlags.

Im Startbahn-Prozeß vor dem Oberlandesgericht Frankfurt hat der 5. Strafsenat gestern nachmittag seine Urteile gefällt: gegen Andreas Eichler wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren und gegen Frank Hoffmann von vier Jahren und sechs Monaten verhängt.

Die Staatsschutzkammer sprach Andreas Eichler des Totschlags und des versuchten Totschlags in jeweils zwei Fällen in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz schuldig. Nach Auffassung des Senats hat Eichler am 2.11.1987 nach einer Demonstration gegen den Bau der Startbahn West des Frankfurter Rhein-Main-Flughafens zwischen 21 Uhr und 21.05 Uhr mindestens 14 Schüsse in Richtung vorrückender Polizeibeamter abgegeben. Zuvor soll aus einem Waldstück unmittelbar hinter dem Gundbach das Kommando ergangen sein: „Scharfschützen Feuer!“ Die Beamten hätten sich zu diesem Zeitpunkt auf den Mönchbruchwiesen in einer Entfernung von 80 bis 120 Metern befunden. Vier Beamte wurden aus dieser Distanz von den Schüssen getroffen, der Polizeibeamte Schwalm tödlich. Der ebenfalls erschossene Beamte Eichhöfer wurde in 517 Metern Entfernung tödlich verletzt.

Der Senat verwarf mit seinem Schuldspruch den Mordvorwurf der Bundesanwaltschaft (BAW). Die hatte noch in ihrem Plädoyer daran festgehalten, Eichler und Hoffmann hätten gemeinschaftlich geschossen, und es sei ihnen darum gegangen, möglichst viele Beamte zu erschießen. Für beide Angeklagte hatte die BAW lebenslange Freiheitsstrafen gefordert. Die Staatsschutzkammer sprach Eichler zudem der „Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung“ (§ 129a StGB) schuldig. Die Gruppe um Eichler habe sich u.a. „Revolutionäre Heimwerker“ genannt und unter Tatbeteiligung Eichlers zwölf Anschläge auf Strommasten, Energieversorgungseinrichtungen, Bauunternehmen und eine Bank verübt. Die Tatbeteiligung Eichlers sei neben Aussagen von ehemaligen Mitangeklagten auch durch sein „Archiv“ bewiesen. In einem Bankschließfach Eichlers hatten die Ermittlungsbehörden eine umfangreiche Dokumentation über die Anschläge samt Bekennerschreiben gefunden. Ferner wurde Eichler wg. Verstoßes gegen das Wahlgesetz — ein Brandanschlag auf eine Wahlurne in Mörfelden-Walldorf bei der Bundestagswahl am 25.1.87 — verurteilt.

Frank Hoffmann wurde von diesem Vorwurf ebenso freigesprochen wie von der Mordanklage. Hoffmann sei von Eichler — der bereits einen Tag nach seiner Festnahme bei einer polizeilichen Vernehmung eingestanden habe, geschossen zu haben — zu Unrecht belastet worden. Eichlers am 3.11.87 abgelegtes Geständnis („Ich habe geschossen“) wertete der Vorsitzende Richter Erich Schieferstein als wichtiges Indiz für Eichlers Täterschaft. Spätere Versuche, das Geständnis als „falsch zitiert“ zurückzuweisen, überzeugten den Senat nicht. Die Belastungsaussagen gegen Hoffmann seien als Versuch Eichlers zu bewerten, sich selbst zu entlasten.

Wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ in Tateinheit mit mehreren Anschlägen verhängte der Senat gegen Hoffmann eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Die insgesamt dreijährige Auslieferungs- und Untersuchungshaft werden auf die Strafe angerechnet. Der Haftbefehl gegen Hoffmann wurde außer Kraft gesetzt. Michael Blum